Fackelzug am Weg.

Foto: Hackl

Im Schatten der Gewalteskalation haben sich Samstagnacht rund 4.000 Israelis zum stillen Protest getroffen. Mit dem Slogan „keine Sicherheit ohne soziale Sicherheit" wollten sie die Regierung an die kurze Leine nehmen, damit diese nicht die Terroranschläge vom Donnerstag dazu nutzt, ihre Rufe nach einem Wohlfahrtsstaat zu ignorieren.

Vor der Kundgebung bereiten Aktivisten im Rothschild-Camp der Zeltbewegung gerade noch die letzten Transparente vor. „Sicherheit bringen nicht nur Panzer, sondern auch die Menschen, die Bildung, und das zu Hause", liest ein junger Mann einen Slogan vom Schild. Worte die angeblich von dem 1995 nicht weit von hier ermordeten Premierminister Yitzhak Rabin stammen. Wie die Protestbewegung heute, hatte auch Rabin in den 90er Jahren erfolgreich die Massen mobilisiert. Er wurde von einem fanatischen Nationalisten getötet, der im Osloer Friedensvertrag eine Bedrohung für Israel sah.

Und wie damals bei Rabin, sehen auch heute viele politisch rechte Israelis eine Bedrohung in den sozialen Forderungen der Zeltbewegung. Besonders jetzt, wenn sie wegen den Terroranschlägen im Süden nichts von sozialer Gerechtigkeit wissen wollen. Schon gar nicht, wenn diese auch für Araber gilt. „Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass diese Bewegung nicht stirbt", sagt ein junger Israeli vor Beginn der Demonstration. Er gibt aber auch zu, dass es „verdammt wenige" sind, die heute hier sind. „Vielleicht ist sie ja schon gestorben?", meint er. Noch nicht. Immerhin sind es ein paar tausend Menschen, die es zu diesem stillen Marsch geschafft haben. Wächst wie seit Donnerstag die äußere Bedrohung gegen Israel, werden die internen Probleme schnell Nebensache. Genau das soll mit diesem Marsch verhindert werden.

Während die Menge langsam in Bewegung kommt, zünden die ersten Kerzen und Fackeln an. Damit soll auch den Toten der Anschläge gedacht werden. Inmitten der Prozedur bricht plötzlich ein Streit aus. Ein junger Mann mit einer riesigen israelischen Flagge attackiert Demonstranten der Hadash-Partei, die sich für die Koexistenz zwischen Arabern und Israelis einsetzt. „Juden und Araber verweigern die Feindschaft", rufen sie. Der junge Mann gerät in Rage, aber die Rangelei ist bald wieder vorbei. Sie lässt erkennen, wie explosiv die Emotionen an diesem Samstag nach den Terroranschlägen sind.

Etwas mehr als eine Stunde dauert der stille Marsch zum Meer hinunter. Von unzähligen Balkonen schauen Stadtbewohner auf den Fackelzug herab. Als der Zug an einer Diskothek vorbeikommt, klatschen die Party-Gäste plötzlich laut zum Takt der Musik und rufen: „Das Volk will soziale Gerechtigkeit". Am Ende kommen die Demonstranten in einem großen Park neben dem Strand zusammen und setzen sich am Boden um einen kreisförmigen Platz.

Plötzlich wird alles völlig still. Eine Stille, die man selten hört, wenn tausende Menschen auf einem Fleck sind. „Danke", beendet eine Stimme die Schweigeminute für die Opfer der Anschläge vom Donnerstag. Die Initiatorinnen der Proteste, Dafne Leef und Stav Shafir, stehen gemeinsam mit anderen Protestführern am Asphaltplatz in der Mitte des geschlossenen Sitzkreises. „Was hier passiert, ist stärker als Worte", sagt Dafne und fügt hinzu: „Wir werden nicht aufgeben."

Auch ein Vertreter der jüdischen Siedlung Ariel im Westjordanland spricht durchs Megaphon. „Diese Probleme betreffen unser ganzes Land und somit auch uns", sagt er als plötzlich einer aus der Menge schreit: „Aber du lebst nicht in unserem Land".
Zu Ende der Kundgebung stimmen einige wieder den Slogan „Juden und Araber verweigern die Feindschaft an", bis bald alle klatschen und gemeinsam diese Worte rufen, die in Zeiten wie diesen nicht allzu oft gesagt werden. (Andreas Hackl, derStandard.at/22.8.2011)