Erhard Busek war fünf Jahre Wissenschaftsminister, heute ist er Uni-Ratsvorsitzender an der Medizin-Uni Wien und Rektor der FH Salzburg.

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Wien - Ex-Wissenschaftsminister Erhard Busek (ÖVP) kritisiert im STANDARD-Interview die hochschulpolitische Untätigkeit der Regierung und warnt angesichts der "zweifellos besorgniserregenden" Situation vor einer Gefährdung der Qualität der Ausbildung und Forschung an den österreichischen Universitäten. Diese hätten sicher zu wenig Geld, sagt der nunmehrige Rektor der Fachhochschule Salzburg und Vorsitzende des Unirats der Medizin-Universität Wien. Er schlägt vor, die Regierungsparteien sollten "das Geld, das sie für die Eigenwerbung in allen Ministerien verwenden, den Universitäten geben. Das ist die beste Werbung für Österreich."

Studiengebühren hätten einen wichtigen "pädagogischen Gesichtspunkt" , was den Wert eines Studiums betreffe, das Finanzproblem lösten sie nicht. 

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Standard: Das Europäische Forum Alpbach wurde 1945 als "Internationale Hochschulwochen" gegründet. Stichwort Österreichs Hochschulen heute. Ihr Befund?

Busek: Zweifellos besorgniserregend, weil die Qualität der Ausbildung entschieden gefährdet ist und die Politik die Entscheidungen vermissen lässt. Allerdings sei auch kritisch vermerkt, dass die Universitäten und Hochschulen auch ihre eigenen Möglichkeiten zu wenig ausnützen.

Standard: Welche Entscheidungen müsste die Politik jetzt treffen?

Busek: Die dringendste ist die Frage der Bewältigung des Andrangs. Alle diese Situationen sind ja längst bekannt, und das ständige Hin- und Herschieben aus alten ideologischen Gesichtspunkten ist einfach unerträglich. Es gibt Länder, wo Sozialdemokraten an der Regierung sind und wo Zugangsbeschränkungen im Sinne von Qualifikation existieren, und es ist in Wirklichkeit niemandem ein Stein aus der Krone gefallen.

Standard: Sie sind für flächendeckende Zugangsbeschränkungen?

Busek: Beschränkungen plus Kostenrechnung, was die Studienplätze kosten. Da darf Österreich von den Fachhochschulen lernen. Wir haben diese Kostenberechnung, wir haben auch klare Aufnahmekriterien - und das funktioniert klaglos und wird auch von der Hochschülerschaft akzeptiert.

Standard: Apropos Ideologie. Die ÖVP kommt immer mit dem Ruf nach Studiengebühren, aus der SPÖ folgt das Echo "Nein" . Sind Sie für oder gegen Studiengebühren?

Busek: Studiengebühren haben sicher eine gewisse Funktion, lösen aber das Problem nicht. Sie sind ein Finanzierungsbeitrag, siehe Fachhochschulen, die aber von einigen Landesregierungen den Studierenden ersetzt werden.Quasi der Geschenkcharakter der Politik. Das ist wirklich unsinnig. Es gilt das alte Wort: Was nichts kostet, ist nichts wert. Man kann sicher nicht verlangen, dass die gesamten Kosten getragen werden. Ich halte den Betrag, der schon einmal war - 363,63 Euro pro Semester - für zumutbar. Dieser pädagogische Gesichtspunkt ist ungeheuer wichtig. Und wo es finanziell wirklich nicht geht, muss ein Stipendiensystem ausgleichen.

Standard: Das Generalmotto in Alpbach ist "Gerechtigkeit" . Ist es gerecht, dass Österreich für tausende deutsche Studierende zahlt? Oder ist das der Preis, der uns Europa wert sein muss?

Busek: Hier ist durch Jahrzehnte übersehen worden, dass wir ein Problem bekommen können. Es gibt ja Parallelfälle zwischen dem flämischen Teil von Belgien und Holland oder im wallonischen Teil und Frankreich. Das ist ein Politikversäumnis, und dafür zahlen wir den Preis. Das sollte aber nicht zum Rückzug aus Europa führen, sondern zur stärkeren Entwicklung von europäischen Systemen. Wir profitieren auch von Erasmus, Sokrates etc. Das nützen wir zum Teil stärker aus als wir dafür zahlen. Das ist okay. Das ist eben ein Wettbewerb an Leistung.

Standard: "Ihr" Rektor Wolfgang Schütz von der Medizin-Uni Wien, wo sie Vorsitzender des Uni-Rats sind, warnt, dass er ohne mehr Budget Ärztestellen kürzen muss. Wäre das nicht eigentlich Aufgabe der Stadt Wien? Gesundheitsversorgung ist ja keine Uni-Aufgabe.

Busek: Die Uni-Kliniken und die Medizin-Unis gehören endlich in eine Hand. Die geteilte Situation führt dazu, dass der eine Teil dem anderen die Kosten überwälzen will. Der Bund zahlt schlicht zur Gesundheitsversorgung im Landesbereich mit. Das ist untragbar. Nur ein Beispiel: Wir haben 200 Anästhesisten. Für Lehre und Forschung brauchen wir an der Medizin-Uni Wien keine 200 Anästhesisten. Wir zahlen für die Stadt Wien mit. Gleichzeitig haben wir eine Reihe von Professuren nicht nachbesetzt, weil uns das Geld fehlt. Da wird ein Wissenschaftsprozess in Lehre und Forschung unterbrochen. Das kann ganz beträchtliche Folgen haben.

Standard: Apropos Geld: Haben Österreichs Unis zu wenig Geld?

Busek: Klare Antwort: Ja. Wobei ich auch die Unis bitten würde, von dem System, jede Menge Zahlen fallen zu lassen, wegzugehen. Wenn von 900 Millionen oder einer Milliarde die Rede ist, muss man das der Öffentlichkeit auch vorrechnen. Das ist jetzt nicht nachvollziehbar und hat eher den Charakter von Lottozahlen.

Standard: Die Regierung zeigt wenig bis keine Ambitionen, den Unis das benötigte Budget zu geben.

Busek: Dann sinkt die Qualität mit Sicherheit, das gilt auch für die Forschung. Da muss man sagen, sie sollen einmal das Geld, das sie für die Eigenwerbung in allen Ministerien verwenden, den Universitäten geben. Das ist die beste Werbung für Österreich.

Standard: Ist Wissenschaftsminister im Moment der schrecklichste Job der Republik?

Busek: Da sage ich fairerweise, ich würde mich auch ums Justizministerium nicht reißen. Wir haben eine Reihe von Problemstellen. Unser Defizit in europäischer Positionierung etwa ist sehr kritisch. Ich möchte zur Entlastung der Politik aber sagen: Wir bräuchten eine stärkere öffentliche Diskussion über Dringlichkeiten.

Standard: Kritisieren Sie auch einen Rückzug der Politik?

Busek: Ja. Es gibt eine Art insulares Bewusstsein der Politiker und der politischen Institutionen in dem Sinn, dass sie sich aus den Dingen selber herausnehmen oder gerade den nächsten Tag überbrücken. Wir brauchen aber dringend grundsätzliche Diskussionen. Mir fehlen konkrete Vorschläge mit noch konkreteren Diskussionen.

Standard: Stößt in dieses Politik-Vakuum dann die Wirtschaft?

Busek: Zum Teil ja, schon lange. Die treibende Kraft in vielen Dingen bis hin zur Außenpolitik - ich verweise auf das Engagement in Mittel- und Osteuropa - geht von der Wirtschaft aus, aber die Politik zieht nicht nach. Wie überhaupt die Politik viel zu wenig jene Kräfte abholt, die noch helfen könnten. Sie wollen gern allein bleiben, nur sie können es nicht.

Standard: Meinen Sie damit "nur" die österreichische Politik?

Busek: Das ist ein europäisches Phänomen. Es gibt einen Wirklichkeitsverlust. Auf die englische Situation angesprochen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das, was dort akut passiert ist, nicht schon gerochen werden konnte. Da stimmt's irgendwo nicht. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, Printausgabe, 22.8.2011)