Die harten Urteile gegen jugendliche britische Randalierer haben nicht nur in Kontinentaleuropa für Empörung gesorgt. Selbst die New York Times, die gnadenlose Gerichtsurteile in der eigenen Stadt gut kennt, geißelt die Regierung von Premier David Cameron und die britische Justiz für ihr Vorgehen.

Aber hinter Camerons unbarmherziger Reaktion auf die Ausschreitungen in englischen Städten steht eine kühle Logik, die man zwar nicht akzeptieren, aber die man zumindest respektieren muss.

Strafen haben im modernen Rechtsstaat drei verschiedene Zwecke:

Die individuelle Sühne, die auch dazu dient, die moralischen Standards in der Gesellschaft zu erhalten und im – leider seltenen – Fall zu einer Resozialisierung führen soll;

Der Schutz der Bevölkerung vor Straftaten;

Und die allgemeine Prävention durch Abschreckung.

Diese Ziele stehen häufig im Widerspruch zueinander. Bei der Sühne müssen die individuellen Umstände mit in Betracht gezogen werden, auch wenn durch mildere Urteile die Abschreckung sinkt. Sexualtäter etwa lassen sich überhaupt nicht abschrecken und haben oft eine eingeschränkte Schuldfähigkeit, werden aber gerade aus Schutzgründen besonders lange weggesperrt.

Die Abschreckung funktioniert nur dort, wo rationales Verhalten der Straftäter angenommen werden kann. Ein Eifersuchtsmord wird sich auch durch das höchste Strafausmaß nicht verhindern lassen. Bei Eigentumsdelikten und damit verbundenen Straftaten geht die moderne Sozialwissenschaft hingegen  davon aus, dass die Täter hier Nutzen und Risiko sehr wohl abwägen.

Public-Choice-Ökonomen wie Wirtschaftsnobelpreisträger Gary Becker haben schon früh ökonomische und zutiefst rationale Modelle des kriminellen Verhaltens entwickelt.

Dies dürfte auch bei den englischen Jugendbanden zutreffen. Sie sind zwar keine eiskalten Rechner, aber die Entscheidung, auf die Straßen zu gehen und Geschäfte auszurauben, war sehr wohl vom Gefühl bestimmt, dass sich dies für sie auszahlt, weil das Risiko vor allem in der Masse überschaubar ist. Der Nutzen für sie war nicht nur die gestohlenen Waren, sondern auch der Spaß an der Zerstörung.

Wenn sich eine solche Überzeugung in einer größeren Bevölkerungsgruppe durchsetzt, dann steigt die Verbrechensrate dramatisch an, und dann dauert es Jahre, dies wieder umzudrehen.

Das war die Erfahrung der US-Großstädte, wo erst in den neunziger Jahren die Kriminalität wieder zurückging. Dafür war zumindest zum Teil die konsequente Polizeiarbeit verantwortlich, durch die selbst kleine Delikte (Broken-Windows-Theorie) hart bestraft wurden.

Die Briten haben jetzt die beste Möglichkeit, der verlorenen Generation in ihren Städten klarzumachen, dass Ausschreitungen, Vandalismus und Einbruch katastrophale Konsequenzen für sie haben wird. Jahrelange Haftstrafen für Jugendliche schaffen zwar keine Ausbildung und keine Jobs, aber der Abschreckungseffekt hilft, die destruktivsten Verhaltensformen für die Einzelnen und ganze Nachbarschaften im Keim zu ersticken.

Deshalb sind die Regierung Cameron ebenso wie die unabhängigen Gerichte davon überzeugt, dass nur die härtesten Urteile, die im Rahmen des Rechtsstaates möglich sind, eine Wiederholung solcher Unruhen verhindern kann.

Beim zweiten oder dritten Mal kann es bereits zu spät sein, denn wenn sich die Kultur verändert hat und rechtskonforme Verhaltensnormen einmal zerstört wurden, sind diese  nicht mehr so leicht herzustellen.

Die Strafen mögen individuell zwar überzogen und ungerecht wirken, aber in ihrer Wirkung sollten sie dazu beitragen, dass insgesamt weniger junge Menschen im Gefängnis landen.

Dieser Zugang basiert auf dem englischen Utilitarismus von Jeremy Bentham und John Stewart Mill. Auch er hat seine Grenzen: Der Staat darf im Normalfall nicht Menschenleben opfern, um andere zu retten.

Aber solange die Regeln des Rechtsstaates eingehalten werden - und das war in England bisher offensichtlich der Fall -, ist es legitim, dass die Gerichte die Abschreckung  in den Vordergrund stellen und mildernde Umstände nicht gelten lassen.

Allerdings kann man Cameron zu Recht kritisieren, dass er diese Arbeit der Gerichte mit einer aufgeheizten populistischen Rhetorik gegen gewisse Gruppen begleitet und antreibt.

Und wenn die erste Welle der strafrechtlichen Aufarbeitung vorbei ist, dann kann man von der Regierung erwarten, dass sie sich für eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den Städten einsetzt. Viel Geld ist dafür nicht da, aber auch hier könnten symbolische Maßnahmen einiges bewirken.