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Wer glaubt, in Heinrich von Kleist einen zuverlässigen Mitstreiter für die Sache des Humanismus zu finden, dem muss vom Genuss des patriotischen Schreckensdramas Die Hermannsschlacht (1808) dringend abgeraten werden: Es weht ein durchdringender Geruch von Blut durch die äußerlich makellosen 2636 Blankverse.

Kleist, der gelernte preußische Gardeoffizier, ficht die Schlacht im Teutoburger Wald 9 nach Christi Geburt noch einmal durch. In diesem Parademassaker des Augusteischen Zeitalters wurden die Legionen des Römers Varus von Arminius, dem Cherusker, in einen Hinterhalt gelockt und zur Gänze aufgerieben. Germanien, so will es die Überlieferung, widersteht dem Expansionsdrang des römischen Imperiums: Für Kleist Grund genug, eine Analogie zu bilden und das alte Rom mit Napoleons Kaisertum in ein- und denselben brodelnden Topf zu werfen.

Der Patriot mit der Brandfackel

Von nun an wird es ihm zum Anliegen, die Schmach der preußischen Niederlage von 1806 bei Jena-Auerstedt zu sühnen, Europa von der Okkupation durch die Franzosen zu befreien.

Doch Kleist, der unberechenbare Patriot, gibt einen höchst kuriosen Kulissenschieber ab. Während Preußens Staatsminister im Geheimen an einer Reform des Heeres- und Staatswesens tüfteln und nach außen den Schein des Friedens mit dem korsischen Tyrannen wahren, kann es der exaltierte Dichter kaum erwarten, die erste Brandfackel zu werfen. Sein fünfaktiges Drama, das er recht verzweifelt diversen Bühnen andient, liest sich als wenig verschlüsselte Anleitung zum Ungehorsam. Mehr noch: Die Hermannsschlacht kostet alle Formen der Eskalation, die ein modernes, von sämtlichen Fesseln der Mäßigung befreites Kriegsgeschehen bereithält, mit unverhohlener Freude aus.

Ganz Germanien ist von römischen Legionen besetzt. Dort, wo sich noch keine Feldzeichen des Augustus erheben, finden sich windige Legaten wie Ventidius Carbo ein: Letzterer soll Hermann, den Cherusker, umgarnen und für die Sache Roms gewinnen. Ventidius vollbringt sein Geschäft derart erfolgreich, dass er obendrein Zeit findet, Hermanns Gemahlin Thusnelda ("Thuschen" ) auf unziemliche Weise den Hof zu machen.

Ganz Germanien ist besetzt? Den undurchschaubarsten Flecken im Lande der Teutonen bildet Hermanns Seele. Im chaotischen Gewimmel von (ohne Reihenfolge:) Sueven, Katten, Sicambriern, Marsen, Brukterern, Cimbern, Nerviern, Ubiern, Friesen, Nariskern und eben Cheruskern ist es Arminius, der einen kühlen Intrigenkopf bewahrt.

Sein Konzept der Volkserhebung ist beispiellos: Er lädt die Römer unter Vorspiegelung der Pakttreue zu sich ins Land. Er nimmt voller Genugtuung die Gräuel zur Kenntnis, die bei einem Heereszug eben anfallen: Totschlag, Brand und Vergewaltigung, die Entweihung der ehrwürdigen Kultstätten. Hermann gelobt, lieber selbst den nächsten Brandsatz ins heimatliche Stroh zu werfen, bevor jemand im eigenen Lager auf die Idee käme, auf Frieden zu sinnen.

Arminius alias Hermann ist der furchtbarste aller Terroristen: Er lügt und betrügt. Er stiftet sein Frauchen förmlich zum Fremdgehen an, er willigt scheinbar in die größten Demütigungen ein, nur um sich das Geschäft der Rache an den Römern als den letzten, den größten aller denkbaren Exzesse für das Finale aufzusparen.

Seine Falschheit ist das Mittel für den alles heiligenden Zweck. In Kleists Kosmos fehlen jene Restbestimmungen des Humanen, die aus uns fehlbare Menschen machen. In dieser amputierten Welt geht es zu wie in einem Milieu, in dem es zwar Türen, aber keine Klinken gibt: Alle Einwände, die darauf abzielen, Schonung zu üben, im Gegner den Mitmenschen zu erkennen, dessen Schwächen zu akzeptieren, werden mit ein paar Schwertstreichen und Sentenzen abgetan.

Und so stolpern die Römer panisch in den Teutoburger Wald, wo sie von Hermann und dem Sueven Marbod genüsslich vernichtet werden. Thusnelda aber, die gute Patriotin, wirft ihren Verehrer Ventidius einer Bärin zum Fraß vor. So schön kann die Liebe sein. (Ronald Pohl, DER STANDARD - Printausgabe, 20./21. August 2011)