Der Flughafen Mailand-Malpensa ist nur ca. 60 km von Lugano entfernt. Zürich ist weiter - von Locarno gut 200 km -, aber durch den Gotthard-Tunnel wird die Verbindung kürzer und wesentlich schneller - allerdings erst ab 2016 (alptransit.ch). Eine schöne Anreise mit dem Auto führt von Landeck kommend durch das Engadin, das Bergell hinunter, durch Italien am Comer See entlang, hinüber zum Luganer See und dort wieder in die Schweiz. Auf der andere Seeseite steht dann übrigens ein nettes, dem Zoll und dem Schmuggel gewidmetes Museum; von Gandria aus regelmäßig mit dem Schiff zu erreichen. www.ticino.ch

Foto: Michael Freund

Unterkunft im Onsernone-Tal bieten unter anderem der Palazzo Gamboni in Comologno, DZ ab ca. 125 Euro und das Onsernone in Loco, DZ ca. 70 Euro. In der Umgebung und zu den anderen Tälern lässt sich individuell und geführt wandern: ti-sentieri.ch

Weitere Auskünfte: www.valle-onsernone.info/onsernone_016.htm

In Locarno/Ascona und Sottoceneri eine große Auswahl an Hotels und Restaurants aller Kategorien. Billig war es schon früher nicht, und der harte Franken hilft auch nicht. Dafür gibt es durchwegs Qualität, von der Villa Castagnola au Lac bei Lugano bis zu Pensionen in den Hügeln.

Siehe den Tessin-Teil in gehtaus.ch

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Das Palace in Lugano wird gerade zum Kulturzentrum umgebaut.

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Die Ausstellung "Max Frisch Berzona" ist im Museo Onsernone in Loco bis 30. Oktober zu sehen, Mi-So: 14-17 Uhr. Geschichten aus dem und "Literarische Wanderungen im Tessin" hat Beat Hächler herausgegeben: "Das Klappern der Zoccoli" (Rotpunktverlag). Ein Kapitel schildert das Schicksal der Menschen im Castello della Barca, ein anderes rekonstruiert die Wanderungen in Frischs "Holozän" (Verweise aufs Orsenone auch in "Montauk"). Nachzuempfinden und zu lesen ist über "Monte Verità - Sanatorium der Sehnsucht" von Andreas Schwab oder über "Hermann Hesse in Montagnola" von Mathias Iven und Angelika Fischer.

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"Das Tal hat eine einzige Strasse, die kurvenreich ist, aber fast überall versehen mit einem eisernen Geländer; eine schmale, aber ordentliche Strasse, die nur Ausländern, insbesondere Holländern, Angst macht."

In der Tat, die Straße hat's in sich. Er kannte das Tal gut, der Schriftsteller Max Frisch, von dem das Zitat stammt - wir kommen noch auf ihn zurück. Überhaupt die Gegend hinter Locarno: Berge und Täler, wohin man fährt, und man fährt selten gerade, sehr verwinkelt und anspruchsvoll sind die Wege manchmal. Da ist das Valle Maggia, das Valle Verzasca, noch entrischere Täler, die vor Fast-Dreitausendern kapitulieren, dann das eine, das gleich hundert auf einmal sein will, nämlich Centovalli, und eben das vorhin beschriebene Valle Onsernone: alle im Tessin.

Das Ticino besteht im Bewusstsein der Menschen eigentlich aus zwei Kantonhälften, getrennt durch den Monte Ceneri. Unterhalb, "Sottoceneri", liegt der bekanntere Teil, das Ziel für alle von weiter oben, von den Deutschschweizern bis zu den Schweden: endlich Süden! Endlich mediterrane Sonne, laue Luft, Zypressen, alte Steinhäuser und doch nicht so weit weg und nicht so chaotisch wie Italien. Man konnte (und kann) Italienisch sprechen, aber man musste nicht, Deutsch tat's auch.

Von dem Vor- und Nachkriegsboom zehrte die Region um Lugano noch lange. Auch Locarno und Ascona zählten zu den Sehnsuchtszielen (man erinnere sich zum Beispiel an ein Automodell, das die Familien hinbrachte: Opel Ascona!), obwohl sie streng genommen gar nicht südlich des Ceneri liegen, eher neben ihm. Miteinander haben die Orte am Lago Maggiore, am Lago di Lugano und dazwischen fast ein Dutzend Fünf-Sterne-Hotels und fast zwei Dutzend mit vieren.

Der Glanz der frühen Jahre ist ein wenig verblichen. Wer Süden will, schießt heute weit über das Ziel Südschweiz hinaus und landet gleich auf Sardinien oder den Malediven. Das Tessin möchte dafür heute anders wahrgenommen werden. Wellness und Kultur sollen wettmachen, was an Exotik fehlt. Symbolisch für die Entwicklung steht das Hotel Palace in Lugano, das gerade zum LAC umgebaut wird, Lugano Arte Contemporanea, einem Zentrum für Gegenwartskunst, das ab 2013 bis Mailand und Zürich ausstrahlen soll.

Wer will, kann bereits jetzt zahllose kulturelle Veranstaltungen besuchen. Das jährliche Filmfestival im August in Locarno und die Jazz- und Pop-Soireen sind am bekanntesten. Aber dass sich zum Beispiel das Gemeindemuseum von Ascona eine beeindruckende Ausstellung der Werke von Marianne Werefkin und ihrem Kreis leistet, zeugt auch von dem Anspruch, den der Kanton an sich selbst stellt.

Steinreiches Land

Und dann gibt es eben auch "Sopraceneri", oberhalb des Berges, näher an den Alpen, weniger lieblich, rauer und ruhiger. Hierher kommt, wer ebenfalls einen Hauch von Süden sucht, aber nicht das Mondäne. Zwar auch nicht wirklich die Einöde - man mag das Gefühl, dass ein Coop, ein Migros, eine Tankstelle und ein Buchgeschäft irgendwo unten vorhanden sind -, aber doch eine eigene, ganz andere Welt als jene an den Seeufern.

Das Valle Onsernone insbesondere ist so eine kleine Welt. Sie hat etwas Elementares: Wasser, Wald und Stein; "steinreiches Land", diesen Slogan hat Omar Gisler vom Ticino Turismo parat. Die Dächer, die Mauern, die Gartenumfriedungen, die Befestigungen an den Berghängen - alles Klötze, Platten, Würfel aus diesem solidesten aller Materialien. Man schaut rundum und sieht Blau, Grau und viel Grün. Sonst sehr wenig, alle paar Kilometer ein Dorf, das sich mühsam an den Bergrücken schmiegt und kaum Platz macht für die einzige Straße, die weiterführt. Es fahren aber sowieso nur selten Autos, und wie der Postbus hier überhaupt durchkommt, bleibt ein Rätsel.

Ist er mit seinem Dreiklanghorn vorbei, bleibt die Stille, fast. Gelegentlich Vogelgezwitscher und überall das Rauschen von Wasser. Den Fluss unten hört man zwar kaum, so tief hat er sich in das Tal hineingefressen, dafür umso mehr die vielen Wasserfälle, alle paar Kurven in der nächsten Bergfalte, einer prasselt sogar direkt auf die Straße, da bleibt kein Wagen trocken.

"Wenn die Sonne scheint auf seine Dächer aus Granit", schrieb Frisch, "wenn es nicht über die Traufen plätschert, wenn das alte Gemäuer nicht nass ist, (...) ist es ein malerisches Dorf." Auch er ist hierhergekommen, nach Berzona im Onsernone, um Ruhe zu finden, sich von der Hektik Roms und seiner Beziehung mit Ingeborg Bachmann zu erholen. Sein Kollege Alfred Andersch hatte ihn auf ein Haus aufmerksam gemacht. Frisch zögerte nicht lange. 1964 erwarb er den Grund.

Viele Adressen sammelte er im Laufe seines unsteten Lebens, in Zürich, Rom, Berlin, New York. Gerade hier aber fühlte er sich sicher, wie er einmal sagte. "Ich habe dieses Haus. (...) Es ist das einzige, für das ich keine Miete bezahle. (...) Jetzt bin ich alt, ich werde das Haus nicht verkaufen, ich habe mich daran gewöhnt."

So sehr war er dem Stück Erde verbunden, dass er verfügte, seine Asche möge hier ausgestreut werden - was 2001 geschah. Zu seinem 20. Todes- und 100. Geburtsjahr widmet ihm das Museo Onsernone in Loco eine Ausstellung von einer Qualität, wie man sie in einem Dorfmuseum suchen muss. Die Zitate sind alle dort zu finden und vieles aus seinem Leben im Tal und über die Besucher und Weggefährten. Verständlich wird auch, dass er Der Mensch erscheint im Holozän hier geschrieben und als Auseinandersetzung eines alten Mannes mit der unwirtlichen Natur angelegt hat.

Loco ist der Hauptort, wenn es einen gibt, im Onsernone. Die Straße geht noch weiter und endet als Fußweg, der über die Grenze in die italienischen Berge führt. Früher kannten neben den Ziegen die Schmuggler die besten Wege. Und im Zweiten Weltkrieg sowohl Schlepper, die Flüchtlinge vor dem Faschismus herüberbrachten, als auch Schweizer Aktivisten, die den Ankömmlingen halfen. Das ist lange her, aber man kann es sich in diesem stillen, verschlossenen Eck des Landes immer noch vergegenwärtigen.

Frei nach Monte Verità

Kurz vor dem Ende der Straße liegt Comologno, wieder eng an den Berg gedrückt. Doch es hat immerhin Platz für zwei Gebäude, eines geschichtlich interessant, eines auch heute relevant.

In dem trutzigen kleinen Schloss Barca hielt ein Zürcher Bohème-Paar ab den 1930er-Jahren Hof. Wladimir Rosenbaum und Aline Ducommun-Merz verwirklichten nicht nur eine Art Edelkommune frei nach dem Monte Verità (der nur ein paar Kilometer entfernt liegt), sie boten auch vertriebenen Künstlern und Intellektuellen, etwa Kurt Tucholsky, Asyl. Heute kann man nur mehr neugierig einen Blick über die Steinmauern auf den geschlossenen Palast werfen.

Den Bau nebenan hatten ebenfalls reich gewordene Rückwanderer vor Jahrhunderten errichtet. Um ihn vor dem Verfall zu retten, beschloss die Gemeinde, ihn in ein historisches Hotel umzuwandeln. Im Palazzo Gamboni blieb so viel wie möglich im Originalzustand, beziehungsweise wurde restauriert, die Meublage, der Stuck, die Tapeten. Und wer der Stille wegen gekommen ist, der findet im Hotel-Nichtbetrieb die Entsprechung: Das Frühstück steht auf dem Tisch, und der Whirlpool ist eine Konzession an die Gegenwart, ansonsten gibt es weder Lobby noch Fünf-Uhr-Tamtam oder sonstige Programme. Man wohnt diskret und wird in Ruhe gelassen.

Max Frisch könnte der Genius loci dieses Tessiner Winkels sein: In Abwandlung einer Weisheit über das Wiener Kaffeehaus ist man hier sehr wohl an der frischen Luft. Und man ist zwar nicht zu Haus' - auch Frisch hat sich als Fremder gefühlt -, dafür umgeben von einer Mischung aus Zurückhaltung und multikultureller Offenheit, die man nicht so leicht sonst wo in den Bergen findet.

Das zieht fast mehr Gäste an, als das karge Tal verkraftet. Die Einheimischen, stand im Juli im Corriere del Ticino, wollen dann manchmal doch woanders hin. Auf Hochzeitsreise zum Beispiel am liebsten auf die Malediven. (Michael Freund/DER STANDARD/Printausgabe/20.08.2011)