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Eine Union, in der zwei europäische Staaten alles diktieren? Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy diskutieren über eine Wirtschaftsregierung.

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Angela Merkel kam heim von Gesprächen mit Sarkozy und Co, sprach in die Kameras: "Wir haben das Problem bei der Wurzel gepackt!" Nämlich das Problem der griechischen Staatsschulden. Große Worte. Richtig euphorisch gab sie sich. Es ist nur wenige Wochen her.

Und wieder kehrte sie heim von Gesprächen mit Sarkozy. Diesmal mit ihm allein. Er hatte dringend nach ihr gerufen. Und wieder trat sie vor die Kameras. Aber diesmal war keine Rede mehr von bei der Wurzel gepackten Problemen. Diesmal ging es nur noch um mehr Macht, und zwar Macht für eine europäi- sche Wirtschaftsregierung. Welche zwei Länder in ihr das Sagen haben sollen, ist unschwer zu erraten. Über ihre wichtigste Aufgabe braucht niemand herumzurätseln, die verriet sie im gleichen Atemzug. Sie soll die von den "Märkten" und von den Rating-Haien ins Visier genommenen Euroländer daran hindern, sich weiter zu verschulden.

Dass Merkel, Sarkozy und Co keine Faser einer Wurzel gepackt, dass sie nicht einmal den Ausläufer einer Wurzel zu fassen bekommen hatten, war Ende Juli bereits erkennbar. Sie hatten die Probleme bloß ein weiteres Mal auf der langen Bank weitergeschoben. Falls nunmehr noch etwas überraschen konnte, dann höchstens, wie kurz die lange Bank diesmal war.

Und wieder ist das Ergebnis vorauszusehen, falls sich Sarkozy und Merkel mit ihrem Projekt durchsetzen sollten: noch mehr Macht für zwei Politiker, die sich völlig den Interessen der Banken und der Spekulanten, Pardon, der Investoren ausgeliefert haben. Und selbstverständlich noch mehr EU-Bürokratie, noch mehr aufgeblähte Apparate, noch mehr Fässer ohne Boden, noch mehr Auftrieb für die Populisten.

Aber keine gelösten Probleme. Offenbar interessieren sich nämlich Sarkozy und Merkel überhaupt nicht dafür, wodurch die Schulden fast aller Industriestaaten unablässig steigen. Nicht den Völkern, sondern den Banken und Investoren zuliebe, spannen sie immer größere Rettungsschirme auf. Offenbar rechnen sie in ihrer Blindheit überhaupt nicht mit der Möglichkeit, dass Griechenland trotz verlängerter Zahlungsfristen ganz und gar der Atem ausgeht - oder dass die nächsten Wahlen eine Regierung ans Ruder bringen, die, mit der Wut von Millionen unter den Sparmaßnahmen stöhnenden Griechen im Rücken, erklärt: Wir können keine 50 Prozent unserer Schulden zurückzahlen, nicht einmal 40 Prozent!

Sarkozy und Merkel denken natürlich auch nicht an die Möglichkeit, dass die großen Blasen mit einem um so größeren Knall platzen könnten, je mehr kleine Blasen sie mit dem Geld der Steuerzahler "retten". Vielleicht sollten sie einmal weniger mit dem Rettungsschirm herumfuchteln und dafür die Nase in ein Buch von Joseph Schumpeter stecken.

Ob sie noch an das Projekt des sogenannten Marshallplans für Griechenland denken? Das wäre löblich. Ohne Aufschwung könnte das Land nämlich auch immer weiter und weiter verlängerte Zahlungsfristen nicht einhalten. Allerdings müssten sie dann auch daran denken, dass der klassische Marshallplan in einer Zeit funktioniert hat, in der auf Teufel komm raus produziert werden musste, weil überall Mangel herrschte. Inzwischen sind die Absatzmöglichkeiten zum knappsten aller Güter geworden. Was tun, wenn das Geld in den Sand gesetzt wird, weil die griechische Wirtschaft gegen die Konkurrenz, nicht zuletzt die deutsche und die französische, nicht aufkommt und trotz allem nicht boomt? Unter diesen Auspizien wäre es vielleicht fast besser, den ganzen halbgaren Marshallplan zu vergessen. Aber wer zahlt dann Griechenlands Schulden?

Trau keinem Banker

Vielleicht sollten sich Sarkozy und Merkel, bevor sie eine Fehlgeburt wie die europäische Wirtschaftsregierung in die Welt setzen, erst einmal Folgendes bewusstmachen: Die Ratschläge von Bankern, die, wie ein gewisser Herr Ackermann, das Fünfhundertfache eines deutschen Bundesministers verdienen, entsprechen vielleicht doch mehr deren eigenen Interessen als jenen einer Mehrheit der Wähler. Geld, das mit Geld statt in der Realwirtschaft verdient wird, ist Blasengeld. Einer Geldmenge, die immer mehr über das Angebot von Waren und Dienstleistungen hinauswächst, droht ein Schicksal: der Knall. Die den Griechen einst geradezu nachgeworfenen Kredite waren aber zu einem großen Teil Blasengeld.

Die Bürgschaften für die griechischen und die Schulden einiger weiterer Staaten sind unterschrieben. Die Europäische Zentralbank hat Unmengen fauler Schuldscheine gekauft. Jetzt handeln alle, die diesen Wahnsinn begangen haben, wie jemand, der im Kasino fremde Millionen verzockt hat und am nächsten Morgen nicht bei sich selbst, sondern bei seinen Kindern die Butter aufs Frühstücksbrot einspart.

Die Kinder sind die Menschen in den europäischen Schuldnerländern. Einige dieser Länder sind nur um ein weniges mehr verschuldet als jene, die ihnen eine europäische Wirtschaftsregierung vor die Nase setzen wollen. Sie sind in die Eurofalle gelaufen und haben die Möglichkeit verloren, durch die Abwertung ihrer Währung ihre Konkurrenzfähigkeit zu verbessern. Da sie in Euro und Dollar verschuldet sind, können sie aus dem Euro nicht mehr heraus und werden jetzt von den Rating-Haien zerfleischt.

Wenn Merkel, Sarkozy und Co schon nichts anderes begreifen, dann sollte ihnen doch wenigstens das eine dämmern: dass kein EU-Land seine Sozialausgaben nach Belieben immer weiter herunterfahren kann. Ein Land mit stagnierender Wirtschaft schon gar nicht. Wenn sie das nicht verstehen, sind sie wahrlich in einem geradezu grotesken Ausmaß überfordert. Die Rechnungen werden dann möglicherweise sehr viel höher ausfallen als jene, die in den englischen Städten, in den Pariser Banlieues oder beim Sturm auf eine Athener Bank präsentiert wurden. Aber zahlen werden sie, wie immer, die anderen. (Hellmut Butterweck, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.8.2011