"Die SPÖ befindet sich heute in der pragmatischen Politik des Alltags. Das ist schade."

Josef Ackerl will Debatten führen, aber keinen Streit.

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Standard: Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina, ein an sich geschätzter Parteikollege von Ihnen, hat Ihrer Partei "Ununterscheidbarkeit" vorgeworfen und gemeint, es werde Leere produziert. Fühlen Sie sich da angesprochen?

Ackerl: Persönlich natürlich nicht. Und es steht außer Frage, dass die SPÖ nach wie vor zu gewissen Haltungen steht. Ferdinand Lacina hat wahrscheinlich im Vergleich zu einem im Alltag befindlichen Politiker mehr Zeit für kritische Diagnosen. Es ist aber die Sicht einer Person, die an keinem einzigen politischen "Schalthebel" mehr sitzt, der wirklich relevant ist. Aber prinzipiell sehe ich kritische Beiträge nicht negativ - die möchte ich ja selber auch leisten.

Standard: Aber hat die SPÖ nicht tatsächlich an Ecken und Kanten verloren und sucht verzweifelt nach einer eigenen Linie?

Ackerl: Ich sehe keine verzweifelte Suche nach einer Parteilinie. Und bezüglich Ecken und Kanten muss ich auch die Medien in die Pflicht nehmen. Das ist ein großes Problem: Wenn alles, was an unterschiedlichen Auffassungen zwischen den Parteien besteht, von den Medien sofort als Streit klassifiziert wird, dann wird eben nicht mehr in der Öffentlichkeit diskutiert.

Standard: So groß ist die Angst der Politik vor den Medien?

Ackerl: Das hat nichts mit Angst zu tun. Aber du kannst als Partei keine Inhalte mehr vermitteln, wenn ein Diskurs sofort als Streit ausgelegt wird. "Die streiten schon wieder", das will doch keiner hören. Da drehen die Menschen doch gleich den Radio ab.

Standard: Dass vielleicht generell die Politikverdrossenheit heute, vor allem angesichts diverser Lobby- und Korruptionsskandale, groß ist, ziehen Sie nicht in Erwägung?

Ackerl: Doch. Wir haben eine Überhöhung unehrlicher Politik. Da ist es übrigens auffällig, dass die wehleidigste Partei die Partei ist, die die meisten Schläger in ihren Reihen hat - die schlagenden Burschenschafter. Die FPÖ, die immer von Mut, Kraft und Männlichkeit redet, jammert am lautesten, wenn jemand aus ihren Kreisen ein Mitglied einer kriminellen Vereinigung ist. Aus meiner langjährigen politischen Erfahrung kann ich sagen: Viele wollen, dass die anderen bessere Menschen sind, schauen sich dabei aber nie selbst in den Spiegel.

Standard: Wie ehrlich ist denn die SPÖ?

Ackerl: Bei uns hat es genauso diese Probleme und Verfehlungen gegeben. Unser Problem ist heute aber ein anderes: Wir sind in der Vergangenheit immer die Partei gewesen, die versucht hat, einen alternativen Vorschlag zum gesellschaftlichen System zu postulieren. Das findet jetzt nicht mehr statt - die SPÖ befindet sich heute in der pragmatischen Politik des Alltags. Das ist schade. Besser wäre es natürlich, die SPÖ würde eine klarere Haltung haben und noch deutlicher erkennbar sein.

Standard: Der SPÖ-Parteinachwuchs ist vor allem damit beschäftigt, rote Personalwünsche - etwa bei der Wahl zum ORF-Generaldirektor - zu realisieren. Ist das ihre Vorstellung von Politik?

Ackerl: Da kann man wirklich relativieren, das tun alle. Die Frage ist vielmehr, was macht man mit diesem Einfluss und welche Qualitäten ergeben sich daraus. Ein von der SPÖ beeinflusster ORF - und das ist er ja, wenn auch nicht mehrheitlich - bekommt daher Qualitätsmaßstäbe übermittelt, die er zu erfüllen hat. Die Frage ist also: Kommt der ORF dem nach, was im Rundfunkgesetz steht und bietet er eine ausgewogene Berichterstattung. Und da sehe ich das Problem nicht in Wien, sondern vielmehr in den Landesstudios. In Oberösterreich etwa heißt die Sendung "Oberösterreich heute" eigentlich "Landeshauptmann heute".

Standard: Ohne Boulevard-Souffleuse scheint es in der SPÖ oft nicht zu gehen, und ist die breite Öffentlichkeit anderer Meinung, ändert sich dann auch rasch die Parteilinie ...

Ackerl: Manchmal wäre es tatsächlich gut, vor einem übereilten Schwenk gewisse Positionen zuerst parteiintern zu diskutieren. Wenn ich mir den Flop, den der Wiener Bürgermeister Michael Häupl mit der Wehrpflichtdebatte hingelegt hat, anschaue, dann ist das abenteuerlich. Da ist er als Wiener SPÖ-Vorsitzender überhaupt nicht seiner Verantwortung der Bundespartei gegenüber nachgekommen. Er hat dazu beigetragen, dass ein Minister beschädigt und ein Generalstabschef entlassen wurde.

Standard: Salzburgs Landeshauptfrau Gabi Burgstaller hat an die eigene Partei appelliert, sich in der Bildungspolitik zu bewegen und Zugeständnisse zu machen. Die SPÖ beharrt aber weiter auf den freien Uni-Zugang. Warum ist man da nicht kompromissbereiter?

Ackerl: Es wird eine unehrliche Diskussion geführt - einschließlich Gabi Burgstaller. Interessanterweise äußert sie sich nämlich innerhalb der Partei nie so. Immer nur über die Medien. Ganz klar ist: Ich bin weiter für einen freien Hochschulzugang. Aber es braucht dringend Veränderungen im Bildungsbereich, und dafür braucht es Zeit und Geld.

Standard: Die Zeit drängt und das Geld ist knapp.

Ackerl: Wir haben die Zeit. Und als Tropfen auf den heißen Stein würde ich den Unis jetzt sofort 100 Millionen Euro zur Verfügung stellen - das ist leistbar. Dann kann man über weitere Finanzierungsmodelle reden. Ohne weiteres Geld wird es nicht gehen. Und es ist Aufgabe des Staats, für zusätzliche Studienplätze zu sorgen, wenn die Zahl der Maturanten steigt.

Standard: Woher soll das Geld kommen?

Ackerl: Etwa durch eine deutlich höhere Vermögensbesteuerung. (Markus Rohrhofer, DER STANDARD; Printausgabe, 19.8.2011)