Es wäre nicht nur eine (vielleicht letzte) Chance für diese katholische Kirche, sondern eine echte Sensation, wenn die im blinden Gehorsam schweigenden Bischöfe, den ungehorsamen Sehenden, den Priestern rund um Pfarrer Schüller, im doppelten Wortsinn folgen würden.

Blinder Gehorsam oder der Missbrauch des menschlichen Geistes

Es wird kein vernünftiger, halbwegs gebildeter Mensch bestreiten, dass eine hierarchisch gegliederte Institution wie die katholische Kirche sie darstellt, ein gewisses Maß an Gehorsam der jeweils Untergebenen braucht, um zu funktionieren. Dieses im Idealfall reibungslose Funktionieren muss aber auch auf einen gemeinsamen Zweck ausgerichtet sein, muss ein Identität stiftendes Ziel verfolgen, einen für alle in dieser Institution Wirkenden Sinn stiften.

Da diese Sinnstiftung im katholisch-kirchlichen Fall anders als etwa im militärischen, wo Ungehorsam zum Tod oder auch zur Tapferkeitsmedaille führen kann, auf ein transzendentes Ziel ausgerichtet ist, ist der Mensch, sei er nun Laie, Pfarrer oder Papst, ein Suchender, Zweifelnder, vor allem aber auch ein selbständig Denkender, ein, spätestens seit der Aufklärung, (horribile dictu!) zum Denken und Handeln Verpflichteter.

Da diese Kirche, aufklärungsfeindlich nach wie vor, einen Unfehlbaren (welch entlarvende Hybris) an ihrer Spitze hat, ist es so folgerichtig wie logisch und vor allem bequem, wenn Volk, Pfarrer und Bischöfe gehorsam schweigen, d.h. in letzter Konsequenz, den Karren gemeinsam an die Wand fahren.

"Kadavergehorsam" ist das, (Max Frisch, Dienstbüchlein, suhrkamp, Frankfurt, 1974), ein glatter Missbrauch des menschlichen Geistes, ein Missbrauch des Gehorsams, weil er als blinder Gehorsam gegen das Denken gefordert wird. Dieser ist der idiotische Bruder des Stumpfsinns, dem der menschliche Geist, das Denken, Sehen, Handeln gegenüberstehen.

Schüller sei Dank

Einer lässt sich nicht mehr missbrauchen, lässt sich nicht mehr für stumpfsinnig halten, mundtot machen. Welch schreckliches Wort, mundtot, angesichts der tristen Lage dieser Kirche, in der man, wie nach dem biblischen Pfingstwunder, viel eher in allen Zungen reden müsste, auch widerreden, wohlgemerkt.

Lass uns die Zeichen der Zeit erkennen, heißt es einmal während jeder Messe. Da erkennt nun einer die Zeichen der Zeit, die Pastoralnot, das Verzweifeln und wohl auch Zweifeln der noch vorhandenen Pfarrer. Da weiß einer, was die Not wenden würde, und er spricht darüber, und es wird ihm in guter alter Barmherzigkeit der katholischen Sorte mit Rausschmiss gedroht (Siehe auch wiederverheiratete Geschiedene).

Armselig, Herr Kardinal, dass Sie, wie schon einmal (Rausschmiss Schüllers als Generalvikar), trotz Ihrer Gelehrtheit, Ihrer Bildung, nur die militärisch-brachiale Lösung beherrschen. Vielleicht auch besser so, authentischer und ehrlicher, denn der Dialog ist in dieser Kirche der alten Männer ohnedies nur ein zynisch-verlogenes Gängeln des Gegenüber, ein ständiger Missbrauch des Wortes.

Schüller und seinen zahlreichen Unterstützern sei also Dank gesagt, nicht gedroht. Warum? Er gehorcht seiner wichtigsten Instanz: dem Gewissen, er macht Gebrauch von seiner Verpflichtung, dem Gläubigen durch die Bibel und dadurch letztlich Gott zu dienen. Wie kleingläubig dagegen der Herr Kardinal, seine bischöflichen Mitbrüder und der Papst gegen Schüller wirken, die sich nicht wie er über das Wasser des See Genezareth auf den im Boot wartenden Christus zuzubewegen wagen.

Draufgehen ohne Glauben

Sie glauben, dass sie wahrhaft glauben, wenn sie glauben, dass absoluter Gehorsam das Überleben (dieser katholischen Kirche) sichert, sie, die Bischöfe und er, der Papst. Es hat durchaus schon etwas Drolliges, dieses Machtgehabe des Selbstzwecks, diese Rechthaberei zum Zwecke des Machterhalts. Draufgehen ohne Glauben. Glauben an die Macht des blinden Gehorsams.

Es ist zu hoffen, dass Schüllers Macht des Ungehorsams diesen Dummen (im parzivalschen Sinne, nämlich Unwissende, weil nicht Sehende) diesmal widersteht. Wenn nicht, dann Gnade euch Gott, ihr hierarchischen Selbstgenüger, ihr Totengräber eines Glaubens, der lebendig machen soll, wie ihr allmessentlich behauptet.

Es wird euch gelingen, was den historischen Krisen dieser Kirche nicht gelungen ist: Sie zur Bedeutungslosigkeit jenseits der Wahrnehmungsgrenze herabzugehorchen. Im Sinne der Bibel, der Frohen Botschaft wäre dies wohl nicht, glaube ich. Dumm nur, dass ihr das Gegenteil immer noch glaubt. (Leser-Kommentar, Thaddäus Brugger, derStandard.at, 18.8.2011)