Im US-amerikanischen Thriller Inside Man begeht der Gauner Dalton Russell den perfekten Bankraub. Seine Strategie: Er raubt die Bank nicht aus oder zumindest nicht dann, wenn es alle glauben. Er mauert sich in der Filiale ein und wartet, bis die Polizei weg ist. Er informiert die Cops sogar über seinen Plan. Doch die New Yorker Polizei ist so sehr damit beschäftigt, ständig neue Krisenstrategien zu entwickeln, dass sie in ihrer Panik die Lage verschlimmert und nicht mitbekommt, was in der Bank abläuft.

In der europäischen Schuldenkrise geht es derzeit ähnlich zu. In der Realität droht zwar niemand einen Bankraub an, doch eine hektische Rettungsaktion jagt auch hier die nächste, während sich die Krise zuspitzt.

Griechenland, Irland und Portugal wurden mit Notkrediten aufgefangen. Ein Eurorettungsschirm (sogar zwei, einer bis 2013, einer für danach) wurde eingerichtet und bereits aufgestockt. Ein Plan zur Beteiligung der Banken an der Krise wurde erarbeitet. Geholfen hat das alles nichts. Die Risikoaufschläge für Italien und Spanien erreichten im August ein Rekordhoch, erstmals geriet Frankreich unter Druck. Medial entsteht oft der Eindruck, Europa würde lahm auf die Probleme reagieren. Wenn, dann trifft schon eher das Gegenteil zu: Die Politik hat zu oft reagiert und damit immer mehr Staaten einem Risiko ausgesetzt.

Beispiel Griechenland: Die Pleite der Minivolkswirtschaft war vor eineinhalb Jahren politisch nicht erwünscht. Ökonomisch wäre sie verdaubar gewesen. Zig Rettungsaktionen später schuldet Hellas (Staat plus Banken) der EU 311 Milliarden Euro. Weil bisher jeder aufgefangen wurde, lässt sich nun an den Finanzmärkten trefflich spekulieren, wann der Euroschirm neuerlich ausgeweitet wird und die Rettung für Italien kommt.

Noch schlimmer ist, dass keiner mehr die eigenen Bemühungen ernst nimmt: Ende Juli haben sich die Regierungschefs der Eurozone auf ein zweites Hilfspaket für Griechenland verständigt. Wenige Tage später meldete die EU-Kommission Änderungswünsche an. Nun brandet die nächste Debatte auf: In Deutschland bröckelt der Widerstand gegen Eurobonds. Finanzminister Wolfgang Schäuble widersprach zwar einem Bericht der Welt am Sonntag, wonach Berlin die Einführung von Euroanleihen erwägt, doch als erster mächtiger Wirtschaftsklub hat der deutsche Außenhandelsverband Euroanleihen gefordert, auch die SPD ist dafür.

Eurobonds sind grundsätzlich eine gute Idee. Würden alle Euroländer gemeinsame Kredite begeben - nichts anderes wären Euroanleihen -, könnte das die Zinskosten für Rom und Madrid senken. Für Österreich und Deutschland kämen die Anleihen teurer, sie müssten zusätzliche Risiken tragen. Doch Wien und Berlin stehen bereits mit Milliarden für Griechenland und Co gerade. Bevor eines dieser Länder pleitegeht und das geborgte Geld futsch ist, wären Euroanleihen eine Alternative.

Doch die Debatte kommt zu früh. Noch sind die Beschlüsse des letzten Eurogipfels nicht umgesetzt. Niemand weiß, wozu sie taugen. Was Europa bräuchte, wäre eine rettungsfreie Periode - auch um zu sehen, was die bisherigen Aktionen gebracht haben. Wenn sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy heute in Paris treffen und keine Beschlüsse präsentieren, wäre das gar nicht das schlechteste Ergebnis. Manchmal ist abwarten und Tee trinken die beste Strategie. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.8.2011)