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Wien - An den Börsen herrsche Panik und Angst, ist dieser Tage zu lesen. Zeitungen zeigen verschreckte Händler, die mit aufgebrachter Miene Verkaufsorders durch die Börse brüllen oder sich vor ihren Computer-Bildschirmen die Haare raufen. Doch diese Bilder gehen an der neuen Realität an den Kapitalmärkten vorbei. Die menschlichen Händler werden immer unwichtiger an den großen internationalen Börsenplätze. In den USA etwa, schätzt das Beratungsunternehmen Tabb-Group, werden bereits 73 Prozent des täglichen Aktienhandels von Hochfrequenzhändlern (HFT) abgewickelt, auch bei Anleihen und Rohstoffen sind die Turbohändler auf dem Vormarsch. Diese reagieren mithilfe von Algorithmen vollautomatisch auf Preisbewegungen an den Märkten und
geben Orders ab. Sie nutzen etwa minimale Preisunterschiede zwischen Wertpapieren an verschiedenen Börsen, um Gewinne zu machen. Hedgefonds, Banken und Investoren sind daher längst in einen Rüstungswettlauf um modernste Technologie und die gewieftesten Physiker und Mathematiker eingestiegen.

Wie wichtig HFT geworden sind, zeigen auch die neuen Produkte, die sich explizit an die Roboterhändler richten. Dow Jones, der Finanznachrichtendienst und Mutterkonzern des Wall Street Journal, hat 2010 einen neuen Service gestartet. Lexicon heißt er und ist - wie soll es bei Dow Jones anders sein - ein Nachrichtenservice für die Finanzbranche. Doch die Kunden von Lexicon sind hauptsächlich die Algorithmen der neuen Händler. Nachrichten werden in Zahlencodes gepackt und an die Modelle geschickt. Geschwindigkeit ist dabei alles in der neuen Börsenwelt. Orders können im Takt von Nanosekunden (Milliardstelsekunden) aufgegeben werden. Reuters-Journalistin Jennifer Kwan schreibt, dass die „Uhr eines modernen Händlers" Mikro-, Nano- und Pikosekunden anzeigen sollte.

Die neue Macht der HFT-Händler bekommen die Börsen zu spüren. 2005 machte der Handel mit den Wertpapieren, die an der New York Stock Exchange gehandelt werden, noch 80 Prozent des Gesamthandels aus, heute sind es noch 24 Prozent. „Die zentralen Börsen konnten ihren Quasimonopolstatus über 300 Jahre halten", sagt etwa Andrew Haldane, Leiter der Abteilung für Finanzstabilität bei der Bank of England. „Doch im Zeitraum von nur wenigen Jahren ist dieses Monopol entschieden gebrochen worden."

Der Flash-Crash hat die Turbohändler ins Rampenlicht gerückt. Am 6. Mai 2010 spielte der Aktienmarkt verrückt. Manche Papiere stürzten in wenigen Minuten 99,9 Prozent ab. Der US-Leitindex Dow Jones büßte mehr als neun Prozent ein, machte die Verluste aber wenige Stunden später wieder wett. Laut eines Berichts der US-Finanzaufsicht hat ein einziger fehlerhafter Trade einer Fondsgesellschaft eine Kettenreaktion und damit den Flash- Crash ausgelöst.

Auch in Europa haben Regulatoren angefangen, tiefer in die HFT-Materie einzutauchen. Das erklärte Ziel ist es, mehr Daten über die Hochgeschwindigkeitsindustrie zu bekommen. Die EU-Behörde für Wertpapieraufsicht (Esma)möchte bis Jahresende finale Richtlinien für die „highly automated traders" schaffen. Doch die HFT-Unternehmen und ihre neuen Lobby-Verbände fürchten sich noch nicht: Für ihren Zeithorizont sind neue Finanzregeln für eine halbe Ewigkeit nicht in Sicht. (Lukas Sustala, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 13./14.8.2011)