Kardinal Christoph Schönborn mahnt Gehorsam ein und erinnert die aufmüpfigen Priester an ihren Amtseid. Das Krisenjahr 2010 hat auch beim Erzbischof Spuren hinterlassen: "Es war mir echt zu viel."

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STANDARD: Wie ist aus Ihrer Sicht das Krisentreffen mit Helmut Schüller und den anderen ungehorsamen Priestern verlaufen?

Schönborn: Zweck dieses Gesprächs war auszuloten, wo die Gemeinsamkeiten, die gemeinsamen Anliegen sind. Aber es sollte auch ein deutlicher Hinweis meinerseits sein, dass ich als Leiter dieser Diözese einem aus Gewissensgründen formulierten "Aufruf zum Ungehorsam" in dieser Form sicher nicht stehenlassen kann. Und ich habe ihnen deshalb Fragen mit auf den Weg gegeben, die wir in einer zweiten Runde im Herbst dann besprechen werden.

STANDARD:  Helmut Schüller erklärte danach, dass Sie mit Sanktionen gedroht haben sollen.

Schönborn: Jeder hört es, wie er es versteht. Ich habe klar gemacht, dass das so nicht stehenbleiben kann. Ich halte eine Klärung für unbedingt notwendig. Stellen Sie sich vor, im Fußballklub wird zum Ungehorsam gegen den Trainer oder Klubmanager aufgerufen. Und zu einer Änderung der Spielregeln aufgefordert. Da gibt es Klärungsbedarf. Und wenn man sich für einen Weg im Dissens entscheidet, hat das Konsequenzen. Wie die aussehen, entscheidet letztlich die Größe des Dissens.

STANDARD:  Eine Umfrage unter 500 Priestern aus dem Vorjahr spricht aber eine deutliche Sprache: Jeder Zweite vertritt eine andere Meinung als die Kirchenleitung. 80 Prozent sind für eine Ende des Zölibats, die Hälfte will Frauen die Priesterweihe ermöglichen. Genau diese Fragen will die Pfarrerinitiative um Schüller besprechen.

Schönborn: Ich gehöre nicht zu den 80 Prozent. Ich bin klar für die Beibehaltung dieser Traditionen.

STANDARD: Sind Schüllers Tage als Pfarrer von Probstdorf gezählt?

Schönborn: Ich hoffe auf eine einvernehmliche Lösung. Aber wenn er - oder ein anderer dieser Gruppe - den Dissens in substanziellen Fragen aufrechterhält, muss er sich natürlich die Frage stellen, wie sein weiterer Weg in dieser Kirche und in diesem Amt aussieht. Als Pfarrer hat er den Amtseid geschworen, dass er sich zum Glauben bekennt und zum Lehramt der Kirche steht. Die Frage ist: Bin ich bereit, die gemeinsamen Regeln zu akzeptieren oder nicht? Jetzt setze ich einmal auf Nachdenklichkeit und Gespräch - und nicht auf die Keule. Aber eine Entscheidung steht an.

STANDARD:  Schüller sieht keinen Grund, seinen Weg zu verlassen. Wird er, wie 1999 als Wiener Generalvikar, bald wieder einen Entlassungsbrief von Ihnen unter der Fußmatte vorfinden?

Schönborn: Das ist ein anderes Kapitel. Damals ging es um die Frage, ob die Zusammenarbeit mit ihm als Generalvikar weiter funktioniert. Das tat sie nicht. Schüller hat die Situation medial sehr gekonnt ausgenutzt. Die Umstände dieses Briefes waren entschieden anders als medial dargestellt.

STANDARD: Gab es den Brief nicht?

Schönborn: Es gab zwar den Brief vor der Wohnungstür, aber wir hatten für den übernächsten Tag ein persönliches Gespräch vereinbart. Bevor das stattfinden konnte, war alles in den Medien zu lesen. Wenn ich das durchaus mit Anerkennung sagen darf: Helmut Schüller ist ein Medienprofi.

STANDARD: Missbrauchsfälle, Austrittswelle und Proteste der Basis - die Kirche hat mit 2010 ein Krisenjahr hinter sich. Wie schwierig ist es da, überhaupt Kurs zu halten?

Schönborn: Das Schöne am Glauben ist, dass es jeden erwischen kann. Entscheidend ist, ob Menschen eine Glaubenserfahrung haben. Und das lässt sich auch vom Manager auf Erden nicht steuern. Ich kann höchstens im rechten Moment da sein, um zu helfen. Für mich kommt die Kraft sicher zuerst aus dieser ganz persönlichen Kraftquelle, die der Glaube, die Gottesbeziehung, die Messe ist. Und etwas ganz Starkes ist das Zusammentreffen mit Menschen, die suchen und finden. Das ist sozusagen das himmlische Feedback: Du bist nicht allein.

STANDARD: Gab es nie den Punkt, an dem Sie sich dachten, jetzt reicht's?

Schönborn: Dieses Gefühl kenne ich natürlich. Ich habe persönlich diesen Eindruck am Anfang des Jahres gehabt: Es war mir echt zu viel. Wie es diese fast 90.000 Austritte aus der Kirche gegeben hat, da habe ich mir gedacht: Hat die Kirche das verdient? Haben wir uns nicht bemüht? Ist sie wirklich so schlecht? Aber dann, ziemlich um Ostern, habe ich so etwas wie eine neue Kraft gespürt. Das Evangelium ist für diese Zeit eine so unglaubliche Botschaft. Im Moment bin ich wieder in einer Phase, wo ich nicht naiv-optimistisch, aber voller Hoffnung bin.

STANDARD: Sie fahren nächste Woche zum Weltjugendtreffen nach Madrid. Da werden hunderttausende Jugendliche erwartet. Suchen die nur einen Event?

Schönborn: Das ist eine interessante Frage, weil dieses Phänomen seit mehr als 20 Jahren anhält. Erinnern Sie sich an das Jahr 2000. Da trafen sich zwei Millionen Jugendliche in Rom. Ich glaube, viele machen das nicht primär, weil es ein Megaevent ist. Es ist eine ganz starke Erfahrungen, voll von Gemeinsamkeit und lebendigem Glauben. Man würde sich wünschen, dass vieles zurückkommt in den Alltag.

STANDARD: Wenn das so funktioniert, dann müsste die Kirche den Eventcharakter mehr in den Vordergrund stellen.

Schönborn: Macht man es zu viel, wird kritisiert, dass nur Events stattfinden. Der Sonntag sollte das Wochenevent sein. Dass unsere Sonntagsdienste das nicht widerspiegeln, ist unser Problem.

STANDARD: Woran liegt das? An den Priestern, den Gläubigen?

Schönborn: Es liegt an einem kulturellen Umbruch. Wir kommen aus einer Zeit, wo der Sonntagsmessbesuch eine Selbstverständlichkeit war. Da sind noch 60, 80 Prozent der Menschen in die Kirche gegangen. Heute sind wir in der Situation, dass Menschen, die regelmäßig zum Gottesdienst gehen, das aus bewusster Entscheidung heraus machen - und eben nicht mehr aus einer Tradition heraus. Es ist ihnen wichtig. Langfristig gesehen ist das eine Chance. Teilweise ist das natürlich schmerzlich - siehe Kirchenaustritte.

STANDARD: Nach dem Schreckensjahr 2010, wie sehen heuer die Austrittszahlen aus?

Schönborn: Wir haben jetzt noch keine definitiven Zahlen, aber in den ersten sechs Monaten sind die Austritte sehr stark zurückgegangen und sind jetzt auf einem Niveau wie 2008 (Anm.: gesamt im Jahr 2008 rund 40. 000). (Peter Mayer, Markus Rohrhofer, DER STANDARD, Printausgabe, 13./14./15.8.2011)