Thomas Schneidhofer.

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Jeder Mensch hat ein Set an Erwartungen und Einstellungen, die seinen Karriereentscheidungen zugrunde liegen. Bereits 1979 wurden diese von Edgar Schein beschrieben: Es handelt sich dabei um sogenannte Karriereanker, die auch in ökonomisch stürmischen Zeiten dem individuellen Karriereschiff eine gewisse Stabilität verleihen: Ist mir mein Einkommen wichtig oder eher meine Tätigkeit? Strebe ich eher nach Autonomie oder mehr nach Sicherheit? Sehne ich mich nach Lebensstil-Integration oder nach der totalen Hingabe für eine Idee oder eine Sache?

Diese Fragen haben wir - mit einer etwas aufgemöbelten Begrifflichkeit - den WU-Absolventen des Jahres 2010 gestellt. Insgesamt misst die neue Karrieregeneration der "persönlichen Weiterentwicklung" dabei die höchste Wichtigkeit bei - Frauen sogar noch ein wenig stärker als Männer. Bereits weit abgeschlagen findet sich auf Platz zwei die "fachliche Weiterentwicklung", die Frauen jedoch weit wichtiger ist als Männern. Für Letztere sind dafür "Einkommen" und das "gesellschaftliche Ansehen" relevanter. Am unwichtigsten werten übrigens beide Geschlechter die Übernahme von Management- oder Führungsaufgaben.

Das passt auch gut zu anderen, nicht von uns erhobenen Daten. So zeigt beispielsweise der Employer Brand Report der Career Services Austria, dass der ideale Arbeitgeber u. a. dadurch gekennzeichnet ist, dass er "gute Zukunftsaussichten" eröffnet und "Möglichkeiten zur Weiterbildung" bietet - und diese Befragung war sogar repräsentativ für die österreichische Studentenschaft.

Fragt man die Probanden darüber hinaus, ob diese Karriereanker der Strömung auch standhalten konnten, merkt man, dass die Wünsche oftmals nicht in Erfüllung gehen.

Zwar ist der Anteil jener Absolventen, die bei dem Punkt persönliche Weiterbildung "Traf voll und ganz zu" ankreuzten, auch hier am größten, jedoch ist er relativ betrachtet viel kleiner als beim Wunsch danach. Überproportional viele können ihn nicht realisieren. Im Gegenteil: Hier ist sogar die Wunsch-Wirklichkeit-Diskrepanz am größten für beide Geschlechter. Die meisten Illusionen der persönlichen Entfaltung durch die Karriere branden an den Fels der Realität. Ähnliches betrifft die fachliche Weiterentwicklung bei Frauen. Zwar bekommen auch Männer nicht ganz das, was sie sich unter Einkommen vorstellen würden, dafür werden ihre Wünsche nach gesellschaftlichem Ansehen übererfüllt, und bei beidem ist die Diskrepanz viel kleiner als bei der persönlichen Weiterentwicklung. Erfüllt wurde hingegen bei beiden Geschlechtern die Erwartung hinsichtlich des Ausmaßes an "Freizeit". Diese dürfte aber bei der Mehrzahl der Absolventen, die angaben, 70 bis 80 Prozent ihrer Lebensenergie in die Karriere zu investieren, ohnedies gering ausfallen. Karriere wird also als Arbeit am Selbst aufgefasst, die jedoch einem großen Teil nicht gelingt, zumindest wenn persönliche Weiterentwicklung ein Indikator davon ist. (Thomas Schneidhofer/DER STANDARD; Printausgabe, 13./14./15.8.2011)