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Großbritanniens Regierungschef David Cameron zeigt kein Verständnis für eine etwaige soziale Schieflage in jenen Städten, in denen es zu Krawallen kam. Er sieht die Täter als Kriminelle

Foto: EPA/Andy Rain

"Wir setzen jetzt die Technologie für unsere Zwecke ein", sagte Premier David Cameron am Donnerstag bei einer Sondersitzung im britischen Unterhaus - eine Anspielung auf die massenhafte Auswertung von Fotos, die zum Aufspüren und zur Verhaftung von mutmaßlichen Straftätern dienen, die sich ihrerseits über den mobilen Internetdienst Blackberry Messenger zum Plündern und Brandstiften verabredet hatten.

Die Erfolgsmeldungen von blitzartigen Festnahmen und Verurteilungen kommen gut an bei der verunsicherten Bevölkerung. Sie täuschen aber nicht darüber hinweg, dass viele Briten "Zorn, Furcht und Frustration" (Cameron) über die zögerliche Haltung der Polizei empfinden.

Gefühl der Macht 

Die Diskussion über die Ursachen wird mittlerweile ebenso breit geführt wie die Debatte über die Frage, was die Randalierer und Plünderer bewegte. Dass die Polizei in London und anderen englischen Großstädten den Straftaten tausender junger Leute oft stundenlang bloß zusah, habe die Randalierer ermutigt, glaubt der Birminghamer Kriminologie-Professor David Wilson: "Sie fühlten sich mächtig - als würden die Städte ihnen gehören."

Für das ursprüngliche Zögern am vergangenen Samstag in Tottenham gab es einen handfesten Grund: den noch immer unaufgeklärten tödlichen Schuss eines Spezialbeamten auf den 29-jährigen Kleindealer und vierfachen Vater Mark Duggan. Solche letalen Zwischenfälle sind auf der Insel extrem selten; gerade in London haben aber in den letzten Jahren mehrere Fälle Aufsehen erregt, bei denen Scotland Yard durch zögerliche Aufklärungsarbeit und teils gezielt falsche Informationspolitik schlecht aussah. Zudem sah sich die Behörde gerade in Schwarzen-Vierteln wie Tottenham dem Vorwurf des Rassismus ausgesetzt.

Auch die Taktik des Einkesselns sorgte zuletzt immer wieder für Kritik, sowohl bei den Ausschreitungen am Rand des G20-Gipfels 2009 wie auch bei den Demonstrationen von Studierenden im vergangenen Winter, die gegen die Erhöhung der Studiengebühren protestierten.

Es gibt also eine längerfristige Periode der Verunsicherung und des öffentlichen Streits über polizeiliches Vorgehen. Hinzu kommt die aktuelle Vertrauenskrise der weltberühmten Exekutivbehörde, deren normale Streifenbeamte bis heute ohne Pistole durch die Straßen patrouillieren.

Moral auf Tiefststand 

Im Zusammenhang mit der Abhör-Affäre rund um den Murdoch-Medienkonzern mussten der Polizeipräsident und ein Abteilungsleiter zurücktreten, mehrfach wurden hohe Polizeiführer im Parlament kritisiert. "Die Moral der Beamten ist auf einem absoluten Tiefststand", glaubt Paul Deller von der Polizeigewerkschaft.

Paradoxerweise könnten die gleichen Überwachungskameras, die nachträglich zur Ermittlung von Straftätern beitragen, Teil einer falschen Polizei-Strategie sein. Scotland Yard habe sich zu sehr darauf verlegt, "die Öffentlichkeit mit Kameras zu überwachen und dann mit dem Auto zum Tatort zu rasen", glaubt Jonathan Foreman vom Thinktank Civitas. Über all der nützlichen Technik habe die Polizei vergessen, dass bloße Reaktion auf Straftaten "ein Autoritätsvakuum im öffentlichen Raum" erzeugt habe. (Sebastian Borger, DER STANDARD Printausgabe, 12.8.2011)