"Die Deutschen sind nicht das dominierende Element des Zuwachses."

derStandard.at/Winkler-Hermaden+Pumberger

"Der Staat muss sagen, ob er den Universitäten das Geld gibt. Er könnte es leicht tun, denn im Vergleich zu anderen Dingen, die in Österreich finanziert werden - Tunnels oder was weiß ich - ist das eigentlich nicht so viel Geld."

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"Vielleicht muss man dann den Weg gehen und sagen, wir können uns nicht mehr jede Studienrichtung leisten. Das überlegen wir durchaus."

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Noch hat der Mathematiker Heinz Engl sein Büro im Vizerektorat. Er steht wenige Wochen vor einem Karrieresprung. Am 3. Oktober wird Engl offiziell neuer Rektor der größten Universität des Landes, der Uni Wien. In dieser neuen Funktion erbt Engl mannigfaltige Probleme. Vor allem bei der Finanzierung klafft eine Lücke zwischen Bedarf und Wirklichkeit. Im Gespräch mit derStandard.at fordert Engl Investitionen in den Hochschulsektor und malt ein düsteres Bild: Bleiben diese aus, müsse die Uni Wien so weit gehen, einzelne Studienrichtungen zu schließen um bei stagnierenden Mitteln mit einem wachsenden Studierendenansturm fertig zu werden. "Mit jeder Fakultät führen wir Gespräche über fünf Prozent Personalkürzungen", sagt Engl. Die Fragen stellten Rosa Winkler-Hermaden und Sebastian Pumberger.

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derStandard.at: Seit 4. Juli kann man sich online für ein Studium an der Universität Wien anmelden. Wie ist der Stand der Dinge?

Engl: Bisher haben sich mehr als 20.000 Personen angemeldet. Manche auch mehrfach, wir haben Anmeldungen für insgesamt 27.000 Plätze. Es war immer schon so, dass sich Leute für mehrere Studienrichtungen eingeschrieben haben. Das ist auch ok. Wir wissen aber nicht, wie viele von diesen Personen sich möglicherweise auch an anderen Universitäten angemeldet haben. Das ist durchaus anzunehmen, gerade im naturwissenschaftlichen Bereich, in den Lebenswissenschaften, wo auch die TU und die Boku aktiv sind. Das ist der Grund, warum diese Zahlen nicht wirklich einen Prognosewert haben.

derStandard.at: Die Planbarkeit ist für die Universität Wien nicht gegeben?

Engl: Nein. Würden alle 20.000 im Herbst zu uns kommen, hätten wir natürlich ein Problem. Mehr Studenten zu haben, ist keine Katastrophe, aber das Problem ist, dass die Uni Wien für 20.000 neue Studierende einfach nicht ausgestattet ist. Sowohl was die Hörsaalkapazitäten, als auch was das Lehrpersonal betrifft. 

Wir überlegen durch Anmietung von Kinosälen am Vormittag Kapazitäten zu schaffen, aber das ist keine sehr attraktive Lösung. Wir haben in den Wirtschaftswissenschaften eine Verdoppelung der Voranmeldungen. Was noch dazu kommt: Das sind Zahlen von Mitte August. Die Anmeldung ist noch offen bis 31. August. Und wir vergleichen immer mit der Gesamtinskriptionszahl bis Ende November. Selbst da sind wir im Vergleich zum Vorjahr in einzelnen Studien bereits um mehr als 50 Prozent drüber.

derStandard.at: An der TU Wien hat man sich entschieden, das Anmeldesystem gar nicht zu machen, weil es nicht viel bringt. War das auch an der Uni Wien eine Überlegung?

Engl: Wir haben auch gewarnt, dass die Planbarkeit schwierig wird. Aber das Anmeldesystem ist schließlich durch ein Bundesgesetz verordnet worden, das schon einzuhalten ist. Zu sagen, tun wir nicht, weil wir es nicht für sinnvoll halten, haben wir im Gegensatz zur TU nicht für möglich gehalten. Es mag auch sein, dass nicht jede Universität EDV-mäßig so gut aufgestellt ist, dass sie das auch gut hinkriegt. Es war ein relativ großer Aufwand für unsere Verwaltungsabteilungen, für den zentralen Informatikdienst, das so schnell umzusetzen.

derStandard.at: In den Studienrichtungen Publizistik und Psychologie ist die Anmeldefrist schon vorbei. In Publizistik gab es weniger Anmeldungen als verfügbare Plätze. Wieso das?

Engl: Es ist bereits das zweite Jahr, in dem das so ist. Wir haben, wie von der Bundesregierung beschloseen, 1123 Plätze angeboten auf Basis der durchschnittlichen Zahlen der letzten Jahre. Möglicherweise hat bereits die Ankündigung eines Auswahlverfahrens dazu geführt, dass sich weniger Leute anmelden. Wir haben die Gründe nicht untersucht. Jetzt machen wir das Aufnahmeverfahren natürlich nicht, im Gegensatz zur Uni Klagenfurt.

derStandard.at: Liegt das geringe Interesse am frühen Termin?

Engl: Jeder, der wirklich Publizistik studieren will, muss das gewusst haben. Die gesamten Anmeldetermine sind von uns und auch vom Ministerium sehr intensiv beworben worden. Ich selbst habe vom Minister einen Brief erhalten: wenn ich studieren will, muss ich mich anmelden. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich studierende Kinder habe.

derStandard.at: In Psychologie gibt es mehr als 2000 Anmeldungen für 600 Plätze. Wieso ist hier das Interesse so groß?

Engl: Das ist dramatisch. Psychologie ist natürlich ein sehr attraktives Fach, es ist deutlich attraktiver geworden. Wir haben in interdisziplinäre Fächer wie Kognitionsforschung investiert. Psychologen haben gute Berufschancen, ich verstehe, dass sich Leute dafür interessieren, und zwar deutlich mehr als wir Plätze haben. Wir würden natürlich gerne alle Geeigneten nehmen können. Aber wir haben die Kapazität für maximal 600. Gerade Psychologie ist ein sehr experimentelles Fach. Es gibt Labors, man muss lernen, mit Testpersonen umzugehen. Das ist ja alles ein Aufwand. Wir bräuchten grob gesagt die doppelte Personalausstattung.

derStandard.at: Sie haben die Studienplatzfinanzierung gefordert. Was sind konkret Ihre Forderungen?

Engl: Derzeit wird die Finanzierung der Universitäten alle drei Jahre mit dem Ministerium verhandelt und ist stark historisch orientiert. Die Unterschiede von einer Periode zur anderen, wie viel Prozent des gesamten Universitätsbudgets jede einzelne Universität bekommt, sind äußerst gering. Es gibt nur kleinere Verschiebungen. Den einzigen Unterschied macht das sogenannte formelgebundene Budget, das auf Leistungsindikatoren beruht. Aber die Grundfinanzierung ist so, wie sie immer war. Die Studienplatzfinanzierung wäre ein anderes Konzept, das es ja in anderen Ländern gibt. Die Finanzierung einer Universität würde nach realen Kosten berechnet werden: was kostet ein Studienplatz? Wie viel Geld können wir in einen Studenten investieren? Was soll der Studienplatz kosten? Das hängt natürlich auch stark vom Fach ab. Die Kosten für einen Studienplatz in der Geisteswissenschaften sind geringer als in der Physik zum Beispiel.

derStandard.at: Was würde die Einführung eines solchen Konzepts konkret ändern?

Engl: Wenn man die Studienplatzfinanzierung auf Basis der derzeitigen Studierendenverteilung in Österreich ausrechnet - nach Sätzen die jenen guter deutscher und Schweizer Universitäten entsprechen - dann bräuchten wir rund 900 Millionen Euro mehr für alle österreichischen Universitäten. Das ist eine Zahl, die das Ministerium selbst berechnet hat. Das sind für die Uni Wien etwa 150 Millionen Euro, das ist eine Zahl die ich immer schon genannt habe. Man merkt, wir sind deutlich unterfinanziert. Das ist der Regierung bekannt.

derStandard.at: Es gibt einen neuen Wissenschaftsminister, Karlheinz Töchterle. Was sagen Sie zu seiner Performance?

Engl: Man kann noch zu wenig sagen. Das Positive ist sicher - und ich werde auch nichts Negatives sagen - dass er Experte ist. Er hat zahleiche Forderungen, die wir jetzt stellen, bis April selbst noch gestellt. Das in der neuen Rolle umzusetzen, ist schwierig, aber positiv ist, dass er weiß, was notwendig ist. Das Geld hat jedoch nicht er in der Hand. Wenn wir nicht mehr Geld bekommen, werden die Bedingungen auf den Unis unzumutbar.

derStandard.at: Vielerorts wird der „Ansturm der Deutschen" befürchtet. Wie ist das an der Uni Wien?

Engl: Die Deutschen sind bei uns nicht das dominierende Element des Zuwachses. Es waren im Vorjahr in etwa dreizehn, vierzehn Prozent der Angemeldeten. Derzeit in den Voranmeldungen sind es ungefähr 20 Prozent. Der Studierendenzuwachs kommt zum größeren Teil aus Österreich selbst. Es ist begrüßenswert, dass mehr Leute studieren wollen. Im Gegensatz zu den Universitäten, die näher an der Grenze liegen, ist der Trend nicht auf Deutschland zurückzuführen. Man weiß natürlich nicht, wie sich das bis Ende August entwickeln wird, ich nehme aber an, deutsche Studierende, die die Entscheidung treffen, nach Wien studieren zu kommen, würden sich relativ bald anmelden. Wissen werden wir es nach dem 31. August.

derStandard.at: Macht man es sich zu leicht, wenn man das Problem bei den Deutschen zu suchen?

Engl: Bei uns ist es nicht so. Natürlich muss man sich etwas überlegen. Das Prinzip der EU sieht vor, dass man frei studieren kann, wo immer man will. Das macht die Attraktivität des europäischen Hochschulraums aus. Wir haben nur die Problematik, dass wir ein Nachbarland haben, das zehnmal so groß ist und die gleiche Sprache spricht und es dort andere Zugangsregelungen gibt. Im Prinzip wollen wir ausländische Studierende. Eine bunte Studierendenpopulation macht auch die Qualität einer Universität aus.

derStandard.at: Was halten sie von dem Vorschlag von Vizekanzler Spindelegger, je nach Andrang unterschiedlich hohe Studiengebühren einzuheben?

Engl: Ich habe diesen Vorschlag als unausgegoren bezeichnet. Schon in der Bewerbung um das Rektorat habe ich aber gesagt, ich werde mich nicht zu Studiengebühren äußern. Nicht weil ich nicht eine persönliche Meinung hätte, sondern weil wir Universitäten sind, die vom Staat finanziert werden. Der Staat hat damit die Aufgabe übernommen, die Universitäten zu finanzieren. Wie der Staat jetzt die Mittel auftreibt - ob über das Steuersystem, Studiengebühren oder Kredite - ist eine Entscheidung der Politik.

derStandard.at: Ebenfalls oft gefordert werden Zugangsbeschränkungen. Landeshauptfrau Gabi Burgstaller sagt, dass der freie Hochschulzugang eine Illusion ist. Wie sehen Sie das?

Engl: Das ist schon richtig. Wenn wir Studierende aufnehmen, dann sollen sie auch ein Anrecht darauf haben, dass sie eine gute Ausbildung genießen. In ungefähr 90 Prozent unserer Fachrichtungen ist das ohnehin der Fall. Wir haben ein paar Problembereiche, die im Verhältnis zur Kapazität stark nachgefragt sind. Wir müssen die Betreuungsverhältnisse dort verbessern. Ich verweise wieder auf die Studienplatzfinanzierung. Ich trete in erster Priorität nicht für Zugangsbeschränkungen ein. 

Der Staat muss sagen, ob er den Universitäten das nötige Geld gibt. Er könnte es leicht tun, denn im Vergleich zu anderen Dingen, die in Österreich finanziert werden - Tunnels oder was weiß ich - ist das eigentlich nicht so viel Geld. Für uns normale Bürger klingt eine Milliarde viel, aber im Vergleich zu anderen Budgets ist das ein Klacks - wenn man es will. Es ist Verantwortung des Staates zu sagen, wie viele Studierende er sich leisten kann und will.

derStandard.at: Die Finanzierung stellt seit Jahren oder Jahrzehnten ein Problem dar. Kann es noch schlimmer werden?

Engl: Es ist viel gravierender geworden. Die Universität Wien hat Kapazitäten für 60.000 Studierende, wir hatten jahrelang um die 60.000 Studierende. Nach Abschaffung der Studiengebühren ist die Zahl stark angestiegen. Ich will aber nicht sagen, dass es da einen Zusammenhang gibt. Wenn die 20.000 kommen, die sich vorangemeldet haben, haben wir heuer 95.000 Studierende. Das Budget ist seit 2002 vielleicht um fünf Prozent real gestiegen. Das verkraften wir nicht. Ab 2013 ist das Budget eingefroren, das bedeutet aber real 8 bis 10 Prozent weniger. Wenn der Trend gleich bleibt, und wir haben weniger Budget, dann müssen wir Personal kürzen. Mit jeder Fakultät führen wir Gespräche über fünf Prozent Personalkürzungen. Wenn das so kommt, müssen wir ab 2013 30 bis 40 Millionen Euro järhlich einsparen.

derStandard.at: Die Betreuungsverhältnisse werden noch schlechter werden. Gibt es keine anderen Möglichkeiten?

Engl: Vielleicht muss man dann den Weg gehen und sagen, wir können uns nicht mehr jede Studienrichtung leisten. Das überlegen wir durchaus. Ich wüsste aber nicht, welche Studienrichtung wir einstellen sollten. Die Politik zwingt uns aber solche Maßnahmen zu setzen, wir können nicht 30 Millionen Euro einsparen, ohne dass man es merkt. Wir haben jetzt zu wenig Personal und können dann mit 10 Prozent Budget weniger nicht einfach weiter machen wie bisher. Dann hätten wir jetzt gelogen. Ein Blick in das Audimax zu Semesterbeginn belegt die getroffenen Aussagen.

derStandard.at: Wenn Studierendenzahlen steigen, das Betreuungsverhältnis sich verschlechtert, dann steigt auch der Unmut der Studierenden. Bei ihrem Vorgänger reichte der Protest von der Besetzung des Rektorats bis zu einer Tortung. Warum tut man sich so ein Rektorenamt an?

Engl: Aus Verantwortung. Und es ist eine interessante Herausforderung. Es muss ja irgendwer machen. Solche Jobs sind in Phasen der Expansion noch attraktiver, man muss aber auch in solchen Phasen, wie wir sie jetzt haben, seinen Beitrag leisten. Gerade die Studienanfänger und das Personal sind am meisten betroffen. Ich verstehe, dass die Studierenden protestieren. Die Wurzel der Proteste war ja klar verständlich. Wo ist aber der Adressat dieser Proteste? Der sitzt am Ballhaus- und am Minoritenplatz und im Finanzministerium. (derStandard.at, 11.8.2011)