Hunger tötet wie eine Kugel. Die akute Hungersnot in Ostafrika zerrt diese Tatsache wieder ans Licht der Öffentlichkeit. Dabei suggeriert die Berichterstattung einmal mehr, dass Hunger von Naturkatastrophen - in diesem Fall die anhaltende Dürre - verursacht wird. Hunger wird so als unvermeidbar und schicksalhaft dargestellt. Der Blick auf strukturelle und menschengemachte Ursachen wird dadurch verstellt und erschwert eine nachhaltige Hungerbekämpfung.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Von knapp einer Milliarde Menschen, die weltweit Hunger leiden, sind zehn Prozent von Naturkatastrophen betroffen. Der überwiegende Teil der Betroffenen hungert "leise", kontinuierlich und auf dem Land. Die Ursachen sind struktureller Natur und damit politisch gemacht. Hervorzuheben ist vor allem die jahrzehntelange Diskriminierung der Bauern, Kleinfischer und Hirten. Sie stellen weltweit achtzig Prozent der Hungernden, werden aber konsequent ignoriert, wenn Strategien zur Hungerbekämpfung oder ländlichen Entwicklung entworfen werden.

Die "Entdeckung" des Agrarsektors

Ein weiteres Problem ist die "Entdeckung" des Agrarsektors durch die Finanzwelt. Investoren und Spekulanten jonglieren mit Ackerland und Nahrungsmitteln. Hungerbekämpfung steht nicht auf ihrer Agenda. Im Gegenteil: Knappheit und Dürre verheißen sprudelnde Gewinne.

In Kenia beispielsweise hat die Regierung in den vergangenen Jahren fast eine Million Hektar Land an Investoren veräußert - vor allem für die Produktion von Agrartreibstoffen. Dabei wurden Bauern vertrieben und die lokale Nahrungsmittelproduktion zerstört. Viele der Flächen, die auf den ersten Blick leer und öde erscheinen, sind Teil eines Sicherheitsnetzes der ländlichen Bevölkerung. Die Hirten nutzen diese Reserveflächen, um bei extremen Dürren, wie wir sie aktuell haben, ausweichen zu können. Diese fehlen nun. Auch der Zugang zum Fluss Tana wird durch die Vergabe riesiger Flächen beschnitten. Investoren aus Italien, der Schweiz oder Belgien sind mit von der Partie.

Ein tödlicher Cocktail

Ähnliches geschieht in Äthiopien. In der Hungerregion Oromia wurden der lokalen Bevölkerung riesige Agrarflächen entrissen und damit die Ernährungssicherung untergraben. Es ist aber noch eine weitere Kraft am Werk. Von Juni 2010 bis Juni 2011 verdoppelte sich der Weltmarktpreis für Weizen. Die Weltbevölkerung hat sich jedoch voriges Jahr nicht verdoppelt und auch die Ernten waren nicht schlecht. Schuld sind laut Experten vor allem der anhaltende Agrartreibstoff-Boom und die „Eroberung" des Agrarmarktes durch Finanzspekulanten. Da Äthiopien extrem abhängig von Weizen-Importen ist, schlagen die Preise voll auf die nationalen Märkte durch. Dies hat einen tödlichen Cocktail aus armer Bevölkerung, teilweise zerstörter lokaler Nahrungsmittelproduktion und extrem hohen Preisen geschaffen.

Diese Faktoren müssen bei der Suche nach Ursachen und langfristigen Strategien zur Hungerbekämpfung im Zentrum stehen. Und wir Europäer müssen uns dabei an die eigene Nase packen: 40 Prozent aller Fonds, die in Land investieren, kommen aus der EU. Die EU fördert zudem die globale Agrartreibstoffproduktion durch Zwangsbeimischung und hat im Gegensatz zu den USA die Zockerei mit Nahrungsmitteln nicht begrenzt. (Gastkommentar, Roman Herre, derStandard.at, 10.8.2011)