London/Wien - Nach den Krawallen in London haben Kritiker der britischen Polizei vorgeworfen, zu zögerlich auf den Ausbruch der Unruhen reagiert zu haben. An vielen Orten in der britischen Hauptstadt kam es während der Ausschreitungen zu Einsätzen von spontan organisierten Bürgerwehren. Als Reaktion ordnete der britische Premier David Cameron den Einsatz von 16.000 zusätzlichen Polizeikräften an und erlaubte ihnen - erstmals in einer englischen Stadt - den Einsatz von Gummigeschoßen.

Kommentatoren in den britischen Medien sehen die schwache Reaktion der Polizei als Antrieb für Randalierer und Plünderer. "Nachdem sie im Fernsehen sahen, wie wenig den Plünderern in Tottenham entgegengesetzt wurde, wurde jeder Kriminelle und jeder vergnügungssüchtige Jugendliche in London aufmerksam", hieß es in der Zeitung "Daily Telegraph". Hochrangige Polizeioffiziere bestätigten jedoch der Zeitung "Guardian", dass es in den ersten Nächten der Unruhen Order gegeben habe, nicht aktiv in das Geschehen einzugreifen. Erst nach öffentlichem Aufruhr über das passive Verhalten der Sicherheitskräfte ordnete der Premierminister ein hartes Durchgreifen an.

Plastikgeschoße bisher nur in Nordirland

Die Jugendlichen seien organisierter als die Polizei, spöttelten Boulevardblätter. Zuvor war in Medien spekuliert worden, welche Rolle die Vernetzung von Jugendlichen via der Handy-Software BlackBerry Messenger für die Koordination der Ausschreitungen gehabt habe. In einzelnen Berichten hieß es, die Jugendlichen hätten sich zu den Krawallen förmlich verabredet. Ob dies zutrifft, ist schwer einzuschätzen.

Erstmals auf englischem Boden sollen die Polizeikräfte nun Plastikgeschoße gegen Demonstranten einsetzen. Solche Mittel wurden bisher nur von den Sicherheitskräften im chronisch konfliktträchtigen Nordirland angewandt. Die Londoner Polizei trägt für gewöhnlich keine Schusswaffen, sondern lediglich Schlagstöcke mit sich. Der Schritt zu Schusswaffen und Plastikkugeln ist insofern ein Novum, als die "Metropolitan Police" - auch als "Scotland Yard" bekannt - in den vergangenen dreißig Jahren viel Mühe auf das Kultivieren eines "weichen" Images verwendet hat.

"Brixton Riots"

Im Jahr 1981 war am Rande eines Polizeieinsatzes im Stadtteil Brixton ein schwarzer Jugendlicher gestorben - daraufhin brachen die berüchtigten "Brixton Riots" aus. In den folgenden Jahren bemühte sich die Polizei, engere Anbindung an die Bevölkerung in den ärmeren Stadtteilen Londons zu knüpfen. Die Polizei betont seither die jahrhundertealte Tradition der "Grätzelpolizei" in London. "Wir werden 180 Jahre nachbarschaftlicher Polizeiarbeit nicht wegwerfen, aber das heißt nicht, dass die Met sich vor irgendeiner Taktik scheut", sagte der leitende Beamte Steve Kavanagh am Montag.

In vielen Teilen Londons nahmen unterdessen die Einwohner die Ordnung selbst in die Hand. Im Viertel Stoke Newington im Norden Londons stellten sich Hunderte Ladenbesitzer, teils mit Baseball-Schlägern bewaffnet, auf die Straße, um ihre Geschäfte zu verteidigen, berichtete der "Daily Telegraph". Ähnliches habe sich auch in dem Bezirk Clapham ereignet, wo Einwohner eine Barrikade bildeten, um Plünderern den Zutritt zu ihrer Wohngegend zu verwehren. Die Polizei forderte Geschäftsinhaber sogar auf, "vorbeugende Maßnahme zu ergreifen", und private Sicherheitsleute einstellen, so dies möglich sei. (APA)