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Der ORF ist, ob Pressestunden oder Nachrichtensendungen, zum Spielball des Kanzleramts geworden.

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Es geht um Machtpolitik, also geht es um den ORF. Es geht aber auch um Machterhalt. Wo Ideen und politische Potenz ausbleiben, kann nur noch Populismus das Überleben sichern. Da sind Faymann und seine SPÖ ganz auf dem richtigen Weg, während die ÖVP völlig orientierungslos dasteht und das Desaster ihrer verfehlten Medienpolitik erst verinnerlichen muss. Mit der Schüssel-Reform des ORF wurden Strukturen geschaffen, die einst die schwarz-blaue Mehrheit zementieren sollten, die letztlich aber nur dem Machtgefüge der heute stärkeren Regierungspartei, der SPÖ, genutzt haben. Genau das fällt der ÖVP nun auf den Kopf: ungenierter Machtanspruch verbunden mit enormem Qualitätsverlust.

Wer es geschafft hat, dass der ORF in der Ära Lindner, was politische Berichterstattung anbelangt, plötzlich die Qualität eines Ostblocksenders hatte, darf sich jetzt nicht wundern, wenn er klassisch an die Wand gespielt wird. Vor fünf Jahren verlor die ÖVP erst den ORF, dann die politische Macht im Land. In ihrer Verzweiflung ging sie schon so weit, dass sie selbst einen sozialistischen Kandidaten ins Rennen schicken wollte. Nun bleibt ihr nicht viel mehr, als beim Wrabetz-Wählerverein mitzumachen, in der Hoffnung, dass so ein wenig doch noch für sie abfällt.

Faymann weiß, dass man Wahlen mit dem Boulevard gewinnt, dass die Wähler, auf die es ankommt, in der unteren Bildungsschicht beheimatet sind, die klassische Zielgruppe von Krone, Heute und Österreich. Faymann weiß aber auch, dass das allein nicht genügt, schließlich ist er nicht der Einzige, der Populismus verkauft und damit die Instinkte des Boulevards bedient.

Genau das hat die ÖVP verschlafen. Sie hat zwar Raiffeisen und damit wenn schon keinen direkten Zugriff auf einzelne Redaktionen der zum Konzern gehörenden Printmedien, so doch eine eher wohlwollende, vice versa SPÖ-kritische Berichterstattung, sie hat aber eines nicht: den Boulevard. Für den Rest, Grüne und BZÖ, gilt dasselbe: Hauptsache man kommt vor, auch wenn dabei nur die eigene Ideenlosigkeit sichtbar wird. Also Wrabetz wählen.

Seitenblicke-Politik

Und der bedankt sich bzw. muss sich bedanken. Er verteilt Jobs je nach Begehrlichkeit, und er tut das, was auch seine Vorgängerin mit demselben Reflex getan hat: Kritische Geister werden aus dem Unternehmen entfernt, Top-Journalisten in Pension geschickt. Und wenn "Jungen" eine Chance gegeben wird, dann heißen sie Dominic Heinzl.

Seit Jahren verliert der ORF nicht nur sukzessiv Marktanteile (was in den Bilanzen beklagt wird), er verliert seit Jahren auch an Qualität (was in den hauseigenen Bilanzen geflissentlich nicht aufscheint). Die Nachrichtensendungen des ORF sind längst zur "ZiB Faymann" verkommen, und selbst in den Infosendungen auf Ö1 (in ihrer Seriosität bislang unbestritten) muss man den Kanzler im O-Ton ständig über sich ergehen lassen.

Das Phänomen ist aus dem Boulevard bekannt und geht ungefähr so: In Brüssel finden wichtige EU-Treffen statt, bei denen Österreich nur am Rande, wenn überhaupt, mitredet, aber in den österreichischen Boulevardblättern dreht sich alles um Faymann, seine Figur wird sogar geschickt in die eigentlichen Bilder der Global Player hineinkopiert. Plötzlich steht er neben Sarkozy und Merkel, und es sieht aus, als hörten die Mächtigen der EU nur auf ihn. Dazu die typische Überschrift in bester Österreich-Fellner-Manier: "Faymann hat sich durchgesetzt, Europa ist gerettet!" So ähnlich halt.

Der tiefe Fall des ORF ist auch ein tiefer Fall der SPÖ, nur Faymann weiß es nicht, er ergänzt sich auch in dieser Ignoranz wunderbar mit dem ORF-General. Ein Eventpolitiker und ein ebensolcher Programmmacher geben sich die Hand, die Seitenblicke-Politik und die Küniglberg-Chiller sind sich längst handelseins.

Im Land des Mittelmaßes ist Wrabetz der geeignete Kandidat, und ein Kanzler, der selbst nur das Mittelmaß verkörpern kann, will natürlich niemand Qualifizierteren heranlassen.

Faymann und Wrabetz sind ein kongeniales Team, ihre intellektuelle, gestalterische und visionäre Schnittmenge beträgt immerhin hundert Prozent. Genauso gut könnte auch Wrabetz Kanzler sein und Faymann ORF-General. Oder Krone-Chef. Oder Heute-Herausgeber. Auf verständliche Weise agieren sie wie siamesische Zwillinge.

Als solche wurden einst Partei und Gewerkschaft apostrophiert, aber die operativen Aufgaben haben sich seither gewandelt, längst sind es statt der Kampfkraft der Gewerkschaften die Reichweiten der Medien, die Politik mitbestimmen, und verfolgt man, wo Faymann & Co. inserieren und von wem sie sich in peinlichen Elogen bejubeln lassen, dann heißt das die SPÖ-Realmacht umspannende Zwillingspaar heute: Partei und Boulevard. So lässt sich immerhin der Machterhalt weiter behaupten, politische Inhalte wird man auf dieser Schiene freilich nicht transportieren können. Was ja auch nicht schwerfällt, wenn man ohnehin keine hat.

PS: Im Profil las ich kürzlich, als es um die Realmacht des chinesischen Parteiregimes ging, den wahrhaft schönen Satz: "Doch die Realität zeigt, dass eine Gesellschaft niemals auf Dauer bereit ist, ihre Meinungsbildung an die Inhaber eines Machtmonopols zu delegieren." (© Robert Treichler) Das gibt einem direkt Mut, wenn es stimmt. (Gerhard Zeillinger, DER STANDARD; Printausgabe, 9.8.2011)