Der Pekinger Baulöwe Zhang Yuchen verhielt sich wie ein Spion. Mit mehreren Begleitern umschlich er nahe Paris das Château de Maisons-Laffitte, das gut 350 Jahre alte barocke Meisterwerk des Architekten François Mansart. Sie schritten das Schloss ab, notierten sich Abstände und fotografierten heimlich. "Ich hatte Angst, beim Kopieren erwischt zu werden", gesteht der heute 63-jährige Immobilienhändler.
Seine Furcht war unbegründet. Ein Franzose beschied ihm, dass Fotos, Bücher und Baupläne im Souvernirshop frei erhältlich seien. Zhang kaufte alles auf. Mithilfe eines Dutzend Architekten erbaute er das Schloss im Pekinger Vorort Changping neu unter dem Namen "Château Beijing Laffitte" nach. Dann kopierte er noch die Flügelbauten vom Jagdschloss Fontainebleau, legte sich einen Park nach Art der Gärten von Versailles zu und ließ auf der Rückseite mit den Säulengängen Berninis Roms Kolonnaden neu entstehen. 50 Millionen Euro kostete ihn das Konstrukt, aus dem er ein Fünf-Stern-Schlosshotel machte.
Verkaufsförderndes Ambiente
"Beijing Laffitte" krönt heute sein Milliarden-Immobilienprojekt, für das er unterhalb des Schlosses 550 Luxusvillen baute. Schon vor zehn Jahren hatte er erkannt, dass zu jedem Geschäft ein verkaufsförderndes Ambiente dazugehört. Dass er es abgekupfert hatte, störte ihn nicht. Er hatte sich zuvor vergewissert: "In Frankreich gibt es kein Copyright auf Schlösser."
In China treibt die Markenpiraterie immer seltsamere Blüten. Davon kann etwa das schwedische Möbelhaus Ikea ein Lied singen. In Südwestchinas Kunming, einer Provinzhauptstadt mit sieben Mio. Einwohnern, entdeckten Durchreisende jetzt ein vierstöckiges Möbelzentrum. Es kam ihnen vertraut vor. Vom Basement bis zum Dach ist es mit 10.000 m2 Ausstellungsfläche ein Plagiat der weltberühmten Einrichtungshäuser des schwedischen Möbelbauers geworden. Selbst sein chinesischer Name "Shi Yi Jiaju" (Nummer 11 Möbel) klingt lautähnlich wie Ikeas chinesischer Name "Yi Jia-Jiaju" (Ikea-Möbel). Im Kunminger Möbelzentrum finden Kunden alles, was Chinesen an den neun echten Ikea-Möbelhäusern in Schanghai, Peking, Kanton oder Dalian so lieben.
In Kunming warten blau-gelbe Einkaufswagen auf sie, ebenso wie die voluminösen Plastik-Einkaufstaschen. Am Eingang gibt es die kurzen Bleistifte und Zettel. Überall hängen nach Ikea-Art die Preisschilder herab. Breite Betten verleiten zum Probeliegen. Natürlich gibt es im Obergeschoß eine Kantine, wenn auch ohne Lachs.
Chinas Zeitung Global Times wies Kritik zurück: "Im Westen verhöhnt man uns, dass wir unfähig zur Innovation sind." Kunmings "Nummer 11 Möbel" stelle ihre Produkte selber her, existiere schon seit 2004, ohne dass jemand bisher Anstoß nahm. In der Stadt unterhalte sie zwei Filialen. Die meisten Kunden in Kunming seien ohnehin der Meinung: Wenn das Originalunternehmen "nicht zu uns kommt, dann braucht es sich nicht zu wundern, wenn andere das ausnutzen."
Einkaufserlebnis mitgekauft
Es ist auch ein Lehrstück über Chinas besondere Marktwirtschaft. Jörg Wuttke, Präsident der Pekinger EU-Kammer von 2007 bis 2010, hatte während seiner Amtszeit ständig mit Diebstahl geistigen Eigentums zu tun, von Produktfälschungen, Raubkopien und Plagiaten bis zu Patentverletzungen. Die Nachahmung kompletter Ladeneinrichtungen und Verkaufskonzepte aber sei etwas Neues. Sie zeige, wie rasch die Nachfrage nach Konsumartikeln auch im Inland steigt. Die Kunden wollten nicht mehr nur Produkte kaufen. Sie wollten auch das damit verbundene Einkaufserlebnis.
Kunming ist übrigens jene Stadt, die unlängst auffiel, weil sie fünf Apple-Stores beherbergt, von denen kein einziges Geschäft von Apple lizenziert ist.(Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 6./7.8.2011)