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Familie Assad: Hafez al-Assad ( 1930–2000) mit Gattin Anisseh und Kindern Maher, Bashar, Basil (1962 – 1994), Majd und Bushra.

Foto:epa/Louai Bechara

Seit die Aufstände in der arabischen Welt auch Syrien erfasst haben, schwirrt das Wort „Alawiten" durch die Medien, die religiös-ethnische Minderheit in Syrien (von geschätzten 15 Prozent der Bevölkerung, es gibt aber auch andere Angaben), aus der die „Präsidialdynastie" der Assads stammt und die mit dieser die höchsten Posten - vor allem im Sicherheitssektor: Armee, Polizei, Geheimdienste - des Landes erklommen hat. Es gibt zwei Irrtümer, die man auch in Qualitätsmedien immer wieder findet und die es zu korrigieren gilt: erstens, dass die syrischen (und die wenigen libanesischen) Alawiten das gleiche sind wie die türkischen Aleviten, und zweitens, dass es sich bei Alawiten einfach um Schiiten handelt.

Beginnen wir mit dem zweiten Punkt. Die Vorstellung, dass die Alawiten/Alawis Schiiten sind und basta, kommt natürlich vom Namen selbst, der „Ali" enthält, den Cousin und Schwiegersohn des Propheten Muhammad, Ali Ibn Abi Talib. Es stimmt schon, dass die Alawiten die Verehrung für Ali mit anderen schiitischen Gruppen teilen, aber das ist es auch schon wieder. Bei Gisela Procházka-Eisl und Stephan Procházka - sie ist Professorin für Turkologie, er Professor für Arabistik, beide an der Uni Wien -, die vor kurzem ein Buch über die arabisch-sprachige alawitische (eben nicht die alevitische!) Minderheit in Kilikien (Cukurova in der südtürkischen Region um Adana und Tarsus) herausgebracht haben*, kann man in der Einleitung ausführliche Anmerkungen zur Terminologie nachlesen. Demnach hat sich der Begriff Alawiten für diese religiöse Gruppe überhaupt erst im 20. Jahrhundert durchgesetzt, wenn er auch schon früher existiert hat. Die zuvor übliche Bezeichnung war Nusayrier (Nusairier), dazu gleich.

Für mich, aus der politischen Ecke kommend, ist es auch klar, dass diese Tendenz zum Namen Alawi und zum Schiitentum besonders nach der Machtergreifung Assads und seiner Gruppe verstärkt wurde: Sie hatte jedes Interesse daran, von den sunnitischen Mainstream-Muslimen, die sie regierten, nicht einer suspekten, geheimreligiösen Sekte zugerechnet zu werden, sondern zumindest den nolens volens doch akzeptierten Schiiten. Dieses Interesse wird von der schiitischen Seite, insbesondere vom heute mit Syrien eng verbündeten Iran, erwidert: Auch dort tut man sich leichter, wenn man über die Besonderheiten des alawitischen Glaubens hinwegsieht und sie ganz einfach im Schoß der schiitischen Vielfalt willkommen heißt. Das hat als theologische Instanz der - übrigens wahrscheinlich von Gaddafi bei einem Libyen-Besuch 1978 umgebrachte - angesehene libanesische schiitische Gelehrte Moussa al-Sadr erleichtert, der sie auf eine für westliche Ohren etwas komplizierte Art anerkannte: „Heute sind jene Muslime, die Alawis genannt werden, Brüder jener Schiiten, die von den Böswilligen Mutawallis genannt wurden." Also: Heute werden die Alawis von den (böswilligen) Sunniten verfolgt, wie früher die Schiiten (Mutawalli ist auch heute manchmal noch gehörte despektierliche sunnitische Bezeichnung für die Ali-Verehrer).

Offiziell stilisieren sich die Assads aber durchaus sunnitisch, wie etwas beim Begräbnis des alten Hafiz al-Assad im Jahr 2000. Ihre Zugehörigkeit wird zumindest immer im Graubereich gelassen. Das beeindruckt ihre Gegner jedoch in keinster Weise. Anti-alawitische Slogans sind auch bei den Demonstrationen immer wieder zu hören.

Der früher gebräuchliche Name Nusayrier (daneben gibt es eine Reihe andere) bezieht sich auf den Gründer der Gemeinschaft, Muhammad Ibn Nusayr al-Namiri (gestorben ungefähr 864). Er soll ein Schüler des 11. schiitischen Imam gewesen sein, Hassan al-Askari, von dem er das Geheimwissen erfahren haben soll), und diese Person ist natürlich auch wieder eine Verbindung zu den Zwölferschiiten (das ist die größte schiitische Richtung, die 12 Imame anerkennt). Die Nusayriya oder eben das Alawitentum ist aber im Grunde wohl die einzig überlebende gnostische - am einfachsten erklärt als nach Eigenverständnis mit religiösem Geheimwissen versehene - Sekte des Islam, deren es vor Jahrhunderten viele gegeben hat. Erst in den vergangenen Jahrzehnten wurde mehr über den - nur den Männern vermittelten - Geheimglauben bekannt. Was man weiß ist, dass neben Muhammad und Ali auch Salman al-Farsi, ein früher Muslim, als „Tor" zur Erkenntnis eine große Rolle spielt. Wie alle Gnostiker glauben sie an eine innere, verborgene Botschaft der Offenbarung, genau das Gegenteil von der Strömung, die alles wörtlich verstanden wissen will. Nach üblichen islamischen Kriterien völlig schräg ist der alawitische Glaube an eine Seelenwanderung, den sie aber durch ihre eigene Sicht vieler Koranstellen zu belegen wissen.

Übrigens sind die Alawiten - wie auch die Schiiten - schon dem sunnitischen Theologen Ibn Taymiya (gestorben 1328), auf dessen Fatwa (Rechtsgutachten) gegen sie sich heute viele sunnitischen Islamisten beziehen, ein Dorn im Auge. Bei Procházka-Eisls habe ich aber erst erfahren, dass er sich 1304/05 sogar einem Waffengang gegen die „Häretiker in den Bergen" angeschlossen hat.

Wenn Punkt 2 („Sind Alawiten ganz einfach Schiiten?") geklärt ist, ist die Gleichsetzung der türkischen Aleviten mit den Alawiten natürlich auch fast automatisch vom Tisch: Man kann über Ähnlichkeiten noch so viel reden, besonders wenn sie im gleichen Raum leben, wie eben in der Südtürkei. Historisch sind die Aleviten aber etwas anderes und haben mit Ibn Nusayr nichts zu tun. Die Aleviten sind ursprünglich Zwölferschiiten, die jedoch durch die mystischen Orden eine Sonderentwicklung genommen haben. Die größte Gruppe sind die Bektashi Alevi, nach dem Ordensgründer Haci Bektash Veli. Da alle Aleviten entweder Türkisch oder Kurdisch als Muttersprache haben, nennen sich die fast halbe Million Alawiten (Nusayrier) in der Türkei auch Arabische Aleviten oder aber auch „Güney Alevileri", südliche Aleviten, um den Unterschied eher herunterzuspielen.

Dazu muss man sagen, dass auch die Befragung von Angehörigen der einen oder der anderen Gruppe nicht immer die wissenschaftlichen Fakten produzieren wird: „Wir sind alle Muslime, da gibt es keine Unterschiede", das ist das Ideal - leider, denn die Vielfalt des Islam hat diesen immer ausgezeichnet. Und es ist sehr zu bedauern, dass das jetzt alles in einem meist von Islamisten - die behaupten, es gebe den einen, echten Islam, und jede „Abweichung" sei „unislamisch" - Mainstream-Islam aufgehen soll.