Wien - Schier reflexartig reagieren Finanzpolitiker und Zentralbanker derzeit darauf, wenn es um Inflation geht. Preisstabilität, heißt es dann regelmäßig, sei wichtig, ja heilig. Und die in der Finanzkrise angehäuften, immensen Schuldenberge würden sicherlich nicht über eine stärkere Inflation abgebaut werden.

Abneigungen und Ängste gegenüber Inflation sind auf die Erfahrungen zurückzuführen, die Deutschland in der Zwischenkriegszeit mit Hyperinflation gemacht hatte. Per Definition wird ab dann von einer solchen gesprochen, wenn die monatliche Inflationsrate mindestens 50 Prozent entspricht.

Davon konnte die Weimarer Republik nur träumen. Am Höhepunkt des Inflationswahnsinns, 1922 und 1923, verzeichnete das Land zeitweise eine monatliche Inflationsrate von 32.400 Prozent. Bei dieser Rate, schreibt Wikipedia, vervierfachten sich die Preise pro Woche.

Dem damaligen französischen Zentralbanker Émile Moreau, der Deutschland zutiefst misstraute, war diese Entwicklung zuwider. Deutschland versuche, sich vor Reparationszahlungen zu drücken, kritisierte er laut und häufig, wenn er sich mit den wichtigsten Zentralbankern seiner Zeit traf: Montagu Norman von der Bank von England, Benjamin Strong von der Federal Reserve Bank of New York und Hjalmar Schacht von der Reichsbank. Diese vier Männer (Liaquat Ahamad hat dies in seinem Buch Die Herren des Geldes hervorragend beschrieben) versuchten eine tragfähige Finanzordnung auf die Beine zu stellen.

Schuldengeflecht auflösen

Hauptsächlich aber wollten sie das aus dem ersten Weltkrieg stammende Schuldengeflecht untereinander auflösen und vertraglich auf eine neue Basis stellen. Wie John Maynard Keynes, zu der Zeit noch ein junger Wissenschafter und Berater, dazu bemerkte, war einer der großen Fehler, dass sich die vier Banker nicht einmal darauf einigen konnten, Kriegsschulden gegeneinander aufzurechnen.

Doch zurück zur Weimarer Republik. Der Vorwurf des Vertreters der Banque de France, Deutschland versuche sich über Inflation und Hyperinflation seiner Schulden zu entledigen, war bestenfalls die halbe Wahrheit. Erstens, weil Deutschland im Zuge der Reparationszahlungen häufig mit Sachwerten (Kohle) zu zahlen hatte. Zweitens, weil die inflationäre Wirkung nach innen noch desaströser war als jegliche Auslandsentschuldung.

Die Geldentwertung, wie hohe Inflation zurecht gerne genannt wird, eliminierte in der Weimarer Republik, was von den Ersparnissen nach dem Krieg noch übriggeblieben war. Robert Oppenheimer, der US-Atomphysiker, studierte in der Zeit in Deutschland und beschrieb in Briefen die tiefe Verbitterung in der Bevölkerung, besonders im Bürgertum. Die Saat für den Nationalsozialismus wurde damals gelegt.

Die Verantwortlichen in der Weimarer Republik haben dies zumindest anfänglich nicht bemerkt, angeblich. So weit es ging, wurde die Inflation zuerst durch Lohnerhöhungen abgefedert. Und nach außen erleichterte anfangs die weiche Mark die anspringenden Exporte.

Am Leben gehalten wurde dieses Werkel durch eine immer schneller druckende Notenpresse. Ein Anhalten dieses Prozesses gelang erst durch eine Währungsreform, die allerdings durch Börsenkrach samt anschließender Wirtschaftskrise wieder obsolet wurde.

Parallelen zu heute

Die im Vergleich zur Wirtschaftsleistung viel zu hohe Geldmenge in der Weimarer Republik ist die beunruhigendste Parallele zu heute. Denn wieder ist zu viel Geld im System, in der EU ebenso wie in den USA. Die Finanzspritzen der letzten Jahre wurden in der Hoffnung getätigt, dass die Wirtschaft trotz Finanzkrise am Laufen bleibt.

Sobald sich die Wirtschaftslage bessert, muss diese Liquidität rasch und in großem Stil zurückgeführt werden, schreibt Aymo Brunetti in seinem Buch Wirtschaftskrise ohne Ende. Als Schweizer Ökonom benennt er inflationäre Gefahren direkter als EU-Experten und warnt vor einer hartnäckigen Inflation, die ansonsten drohe: "Dabei lehrt die Vergangenheit, dass ein einmal in Gang gekommener Inflationsprozess nur schwer zu stoppen ist." Lesen Sie am Samstag den nächsten Teil der Serie zur Tulpenkrise. (Johanna Ruzicka, DER STANDARD, Printausgabe, 4.8.2011)