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U-Bahnen sind noch immer ein Hotspot der Drogenkriminalität. Neben uniformierten Polizisten sollen auch Kriminalbeamte einer Sondereinheit gegen den Handel dort vorgehen.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Dass man den Kampf gegen Drogen nicht gewinnen wird, weiß man dort trotzdem.

Wien – Mit Vollgas jagt Michael Müller (Name geändert, Anm.) mit Blaulicht den VW entgegen der Fahrtrichtung über den Wiener Gürtel, fährt durch die U-Bahn-Unterführung beim Lokal Chelsea und auf der anderen Seite wieder gegen die Einbahn zu der Straßenecke, an der seine Kollegen warten. Die Kriminalpolizisten haben einen Mann an die Hauswand gedrängt und durchsuchen seine Taschen. Und finden, wonach sie gesucht haben: Drogen.

Elf Männer und eine Frau sind in dieser Freitagnacht dabei, um auf den Straßen der Bundeshauptstadt Dealer festzunehmen. Denn das ist die Hauptaufgabe der beiden Drogengruppen der im Jahr 2003 gegründeten EGS, der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität. Mehr als 8800 Verdächtige wurden erwischt, 190 Kilogramm Heroin, 55 Kilogramm Kokain und 900 Kilogramm Cannabis sichergestellt, rechnet Wolfgang Preiszler, der gemeinsam mit Margit Wipfler die Einheit gegründet hat, vor.

Bilanz soll gesteigert werden

Dass trotz der vielen Festnahmen noch immer auf den Straßen gedealt wird und die Preise für Drogen sogar gesunken sind, leugnet er nicht. Frustriert sei er aber auch nicht. "Man muss Erfolge anders definieren: Wir konnten verhindern, das weiterhin ungeniert tagsüber massiv gedealt wird. Aber man muss natürlich Realist bleiben: Dass wir nicht gewinnen werden, ist uns bewusst."

Müller und seine Kollegen versuchen, die Bilanz zu steigern. Rund um die U-Bahn-Station Längenfeldgasse, beim Verkehrsknoten Wien-Mitte, im Stadtpark, am Handelskai und entlang der U6.

Mit wechselndem Erfolg. Gleich zu Beginn der Streife bei der Längenfeldgasse tönt es aus Müllers Funkgerät. Abnehmer, SA, Kontakt – ein Abnehmer ist ein Drogenkonsument, SA ein schwarzafrikanischer Verdächtiger, Kontakt ein Deal.

In Szene einsickern

Müller erläutert die Arbeitsweise des Teams: "In einer U-Bahn-Station beispielsweise sickern wir in die Szene ein. Kollegen stehen auf den Bahnsteigen und beobachten, wer sich ihnen nähert, mit wem sie mitgehen. " Mittels "Ohrwurm", dem fast unsichtbaren Induktionshörgerät, werden Beobachtungen und Personenbeschreibungen ausgetauscht und taktische Anweisungen gegeben.

Wird ein Deal beobachtet, werden Kunde und Händler getrennt verfolgt. Zunächst wird der Käufer angehalten und kontrolliert. Wird Suchtgift gefunden, kann der Dealer festgenommen werden. Zu dritt oder zu viert. "Eine Festnahme allein durchzuführen ist zu gefährlich, da der Täter die Chance sieht, zu entkommen."

"Keine einzelne Mafia"

Nach der Festnahme machen sich Müller und sein Trupp auf den Weg. "Es ist sinnlos, hier ist jetzt für ein, zwei Stunden nichts mehr los", erklärt Müller. "Es gibt nicht eine einzelne große vernetzte Mafia, aber natürlich wird man sich gegenseitig über Razzien warnen", ist Preiszler überzeugt.

In der U-Bahn-Station Landstraße zeigt Müller auf die Telefonzellen im Mittelgeschoß. "Das sieht man schon, dass es eine Szene gibt." Denn auf den Ablageflächen dort liegen die Umhüllungen der Drogenkügelchen und Spritzenverpackungen. Zu einer Festnahme kommt es aber nicht, also wird in den Stadtpark übersiedelt.

Dort erwartet Müller eine Überraschung. Während sein Team Verdächtige beobachtet, kommt ein Duo vorbei. "Hallo", grüßt einer der beiden den Kriminalisten. "Den habe ich schon einmal erwischt", meint Müller lapidar, nachdem er zurückgegrüßt hat.

U-Bahn-Stationen sind unbeliebt

Nächste Station ist der Verkehrsknoten Handelskai. "Wir haben hier rund 15 Abnehmer und sechs SA", haben vorgeschickte Beamte gemeldet. U-Bahn-Stationen selbst sind bei Fahndern unbeliebt. "Die Kollegen müssen oft wechseln. In einer Station bin ich ja normalerweise nur, wenn ich ein- oder aussteige. Wenn jemand zehn Minuten auf dem Bahnsteig steht, wird die Gefahr der Entdeckung größer", erläutert Müller.

Möglicherweise auch aus einem anderen Grund – Verwechslungen wie im Fall Brennan können im Menschengewühl leichter passieren. Der Prozess um den US-Amerikaner, der von einem Beamten niedergerungen und verletzt wurde, regt Wolfgang Preiszler noch immer auf. "Wir haben einen Fehler gemacht, den wir sofort zugegeben und für den wir uns entschuldigt haben. Aber dass der Kollege deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist, ist unfair. Man steht dann mit einem Fuß immer vor dem Richter."

Trotz offenbar regen Handels sind die Beamten am Handelskai nicht erfolgreich. Denn die Übergaben finden beispielsweise in den Aufzügen statt, wo sie kaum beobachtet werden können – eine Anhaltung ist dann nicht möglich. Zu guter Letzt scheinen die Verdächtigen selbst Verdacht geschöpft zu haben. Im langsamen Trab verlassen sie die Station.

Bekämpfung des Straßenhandels

Den Vorwurf, dass gezielt Schwarzafrikaner beobachtet würden, verneint Müller. "Möglicherweise hätten wir es schwerer, wenn die Gruppen Österreicher als Händler einstellen. Aber sie machen das nicht und wollen offenbar unter sich bleiben."

Für Strukturermittlungen ist die EGS nicht zuständig, sondern nur für die Bekämpfung des Straßenhandels. Bei dem es für Müller durchaus noch Rätsel gibt. "Wir wissen zum Beispiel nicht genau, wie die Dealer zu ihrem Nachschub kommen. Wir vermuten, dass Drogen in manchen Call-Shops und Lokalen gebunkert werden, es kann aber auch sein, dass sie ein Zweiter vorbeibringt."

Ob das Ziel, den Straßenhandel zu beseitigen, nicht auch durch die staatliche Abgabe von Drogen erreicht werden könnte? Nein, glaubt Müller. Im Gegenteil, wenn etwas legalisiert werden würde, würden es auch mehr Menschen konsumieren und dadurch noch größere Probleme entstehen, ist er sich sicher. (Michael Möseneder, DER STANDARD-Printausgabe, 3.8.2011)