Neben dem Grauen über die Tragödie von Oslo und dem Entsetzen über das Hass-Manifest des Attentäters erregt ein Aspekt in Anders Behring Breiviks Weltbild international Aufmerksamkeit: Dieser Rechtsextremist ist kein Antisemit, sondern sieht im Gegenteil Israel als Verbündeten im Kampf gegen Islam und Muslime in Europa.

Das ist kein Einzelphänomen: Viele rechtspopulistische Parteien lösen sich in Westeuropa vom Judenhass, um sich ganz auf die Islamophobie zu konzentrieren. An vorderster Front steht der Niederländer Geert Wilders, der einst in Israel lebte und enge Beziehungen zur israelischen Rechten pflegt. Auch der belgische Vlams Belang und der Front National unter Marine Le Pen bewegen sich in diese Richtung. Ob dies aus Opportunismus geschieht, weil Judenhetze keine Wählerstimmen mehr bringt, oder aus Überzeugung, bleibt offen.

Das stürzt europäische Juden und ihre Organisationen in ein Dilemma: Schon allein wegen der eigenen Erfahrung treten sie meist gegen Intoleranz und Diskriminierung auf. Allerdings leiden sie unter wachsendem muslimischen Antisemitismus und stehen oft zu loyal zu Israel, das sich durch den radikalen Islam als besonders bedroht sieht. Neokonservative Publizisten wie Henryk Broder beziehen sogar klare Position: Sie warnen genauso vor "Eurabia" wie die radikalen Blogger, von denen Breivik abgeschrieben hat.

Aber auch gewisse Rechtsparteien tun sich schwer, das alte antisemitische Erbe abzuschütteln. In Osteuropa versuchen sie es gar nicht: Für die ungarische Jobbik etwa bleiben Juden das Feindbild Nummer eins. Und als FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Vorjahr ganz im neuen Trend radikale Siedler in Israel besuchte, war er darauf bedacht, seine alte Klientel nicht zu sehr verärgern. Aber auch die "Biertonne" auf seinem Kopf in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem bewahrte ihn nicht vor dem Zorn der Burschenschafter, die immer noch vom internationalen Judentum schwadronieren. Auch im Fall Königshofer geht Straches Abgrenzung nach Rechtsaußen in der Partei nicht spannungsfrei von sich.

Aber insgesamt macht der Schwenk beim Thema Judentum/Israel den Rechtspopulismus etwas salonfähiger - und das mit gutem Grund. Waren die alten rassistischen Vorurteile noch ohne jede rationale Basis - in keinem Land in Europa war die jüdische Bevölkerung ein Problem -, so stellt die muslimische Einwanderung die Staaten vor echte Herausforderungen: sozial, kulturell und - auch wenn islamistische Fanatiker eine kleine Minderheit darstellen - auch bei der Sicherheit. Anders als früher kann man den neuen Rechten zubilligen, dass sie unangenehme Wahrheiten aussprechen, die von den Regierenden gerne unter den Tisch gekehrt werden. Das gilt auch für manche ihrer Argumente gegen EU und Euro.

Doch gerade das Massaker von Oslo hat deutlich gemacht, wo die Grenzen zwischen Zivilisation und Barbarei verlaufen - auch im rechten Lager: nicht zwischen Worten und Taten, sondern zwischen vernünftigen Debatten über Integration und offener Hetze. Muslime sind nicht die neuen Juden Europas. Aber genauso wie die antisemitischen Ideologen des frühen 20. Jahrhunderts dem Holocaust den Boden bereitet haben, müssen islamophobe Propagandisten daran erinnert werden, wohin menschenverachtender Radikalismus führt. Der Austausch des Feindbildes macht es nicht besser. (DER STANDARD Printausgabe, 2.8.2011)