Alfred Gusenbauer über seine Tätigkeiten: "Ich habe keine Jobs. Ich habe Beschäftigungen."

Foto: Putschögl

....und über seine Politik-Karriere: "Es liegt grundsätzlich in der Natur des Menschen, dass man sich mit unfairen Mitteln bekämpft fühlt."

Foto: Putschögl

...über Stiftungen und Parteigenossen: "Nein, ich brauche da gar nichts zu erklären."

Foto: Putschögl

...und über die Zukunft: "Wenn es die nächsten 50 Jahre so bleibt, bin ich sehr zufrieden."

Foto: Putschögl

Alfred Gusenbauer ist ein vielbeschäftigter Mann. Der einstige Bundeskanzler der Republik Österreich hat der Politik mittlerweile nachhaltig Adieu gesagt und entfaltet seitdem eine beeindruckende Bandbreite an wirtschaftlichen Aktivitäten. Regina Bruckner und Martin Putschögl haben ihn in seinem Büro in der Wiener Innenstadt getroffen.

Weit hat er es nicht zu seiner alten Wirkungsstätte. Würde Alfred Gusenbauer in seinem neuen Büro etwas lauter "Übliches Gesudere!" hinüber zur SPÖ-Zentrale rufen, könnte man es dort mit etwas gutem Willen vermutlich noch hören. Denn die Rechtsanwaltskanzlei von Leo Specht, Freund und neuerdings auch Geschäftspartner des ehemaligen Kanzlers, befindet sich direkt vis-à-vis des altehrwürdigen Genossen-Hauptquartiers in der Löwelstraße, wo Gusenbauer in seinen acht Jahren als Parteichef im herzeigbaren Eckbüro im zweiten Stock zu residieren pflegte.

Heute empfängt der Ex-Kanzler Besucher zunächst in einem nüchternen Besprechungsraum im fünften Stock des von Emil Ritter von Förster geplanten Gründerzeitbaus in der Teinfaltstraße. Eine Wand des Raumes ziert ein großes Bild, dessen linkes Drittel aus stilisierten roten Rosen auf schwarz-blauem Grund besteht, der Rest ist in erdfarbenen Tönen gehalten. Ein dünner grauer Strich im rechten Drittel des Bildes wirkt ein bisschen wie eine Landebahn in der Wüste. Abgesehen von dem Bild und einem Besprechungstisch ist der Raum auf den ersten Blick völlig leer, auf den zweiten Blick lässt sich auf dem Fenstersims ein Plastikständer für die Visitkarten sämtlicher Mitarbeiter der Kanzlei entdecken. Jene von Alfred Gusenbauer ist nicht dabei.

derStandard.at: Herr Gusenbauer, wie unterscheidet sich Ihr jetziger Tagesablauf von jenem, als Sie noch Politiker waren?

Alfred Gusenbauer: Beginnen tut er fast gleich. Immer wenn ich in Wien bin, gehe ich in der Früh laufen. Ich gehe jetzt nicht mehr in ein Büro, sondern bin die meiste Zeit irgendwo auf der Welt unterwegs.

derStandard.at: Sie haben zum Höhepunkt der Finanzkrise die Politik verlassen. Jetzt scheinen wir am Höhepunkt der Eurokrise zu sein. Wie sehen Sie aus Ihrer jetzigen Position das Krisenmanagement?

Gusenbauer: Ich erinnere mich, ich habe schon im März 2008 davor gewarnt, vor dem was auf uns zukommt. Damals war ich noch ein einsamer Rufer in der Wüste. Den Sommer über ist alles überfallsartig über uns hereingebrochen. Es stimmt zwar, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits die Entscheidung getroffen habe, nicht mehr zu kandidieren, aber gleichzeitig hat die gesamte Bewältigung der Finanzkrise im Herbst 2008 stattgefunden. Vielleicht war es ein großer Vorzug, dass alle anderen im Wahlkampf waren und sich miteinander beschäftigt haben, ich damals aber die Zeit gehabt habe, mich mit dem Krisenmanagement zu beschäftigen. Daher sind das Bankenpaket und viele andere Dinge im Herbst 2008 – also noch unter meiner Kanzlerschaft – relativ problemlos im Parlament über die Bühne gegangen.

derStandard.at: Und jetzt?

Gusenbauer: Ich habe zwar den Eindruck, dass die EU, wenn es nicht mehr anders geht, schon dazu imstande ist, zu Entscheidungen zu kommen. Aber aus rein wirtschaftlicher Sicht muss man sagen, dass dieses taktische Herumgespiele im letzten halben Jahr das Ganze enorm verteuert hat.

derStandard.at: Werden die Kritiker recht behalten, die meinen, wir haben die gleichen Probleme in einem halben Jahr wieder?

Gusenbauer: Das wird sich zeigen. Das ist wie bei einer Krankheit: Je später man eingreift, umso massiver muss der Eingriff sein und umso unwahrscheinlicher wird es, dass die getroffenen Maßnahmen auch wirklich helfen. Dass für Griechenland die Zinsen reduziert und die Zeitdauer der Kredite verlängert wurden, dass es die freiwillige Beteiligung der Finanzindustrie gibt, ist ein Schritt. Aber es fehlt noch ein wichtiges Element: Wie kann ein Land wie Griechenland wieder auf Wachstumskurs kommen? Diese Frage halte ich nach wie vor für unbeantwortet. Damit steht und fällt auch die Frage nach der politischen Akzeptanz.

derStandard.at: War es ein Fehler, dass Griechenland an die Eurozone angedockt ist?

Gusenbauer: Die Teilnahme an der Eurozone war nicht nur eine ökonomische, sondern in erster Linie eine politische Entscheidung. Auch schon als der Euro eingeführt wurde hat sich niemand vorstellen können, dass ein Gründungsmitglied wie Italien nicht Mitglied der Eurozone wird. Auch wenn man gewusst hat, dass Italien das Kriterium der Begrenzung der Staatsverschuldung nicht erfüllt. Das Problem ist, dass die Konstruktion der Wirtschafts- und Währungsunion auf Schönwetter abgestellt ist.

derStandard.at: Was fehlt für ein Unwetter?

Gusenbauer: Die Maastricht-Kriterien greifen viel zu kurz. Selbst wenn sie eingehalten worden wären, bilden sie nicht die Gesamtheit einer Ökonomie ab. Einer Institution wie der Europäischen Zentralbank steht politisch der Ecofin gegenüber. Der ist – wie man gesehen hat – kein Ersatz für etwas, das man Wirtschaftsregierung nennen könnte. Aber solange die Wirtschaft floriert hat, blieben solche Formulierungen ungehört. Da hat das neoliberale Paradigma vorgeherrscht, am besten soll sich die Politik gar nicht einmischen. Stichwort "Freies Spiel der Kräfte" und "Marktentwicklung". Diese Ideologien, die da verzapft wurden, sind natürlich, wie man jetzt in der Krise gesehen hat, an das Ende ihrer Weisheit gekommen. Meiner Meinung nach ist das Hauptproblem nicht, welche Länder zu welchen Bedingungen zur Eurozone gekommen sind, sondern dass die Wirtschafts- und Währungsunion nicht mit den Institutionen ausgestattet war und ist, die eine solche Situation entsprechend managen könnten.

derStandard.at: Derzeit scheiden sich die Geister, wie sehr Europa eine Transferunion sein darf und muss.

Gusenbauer: Ich halte diese Diskussion für völlig hypertroph. Europa ist seit Beginn eine Transferunion. Ganz bewusst war es immer Politik der Europäischen Union, zu sagen, die nicht so gut entwickelten Regionen bekommen besonders große Förderungen. Daneben gibt es die horizontalen Politiken, durch verschiedene Beschäftigungsmaßnahmen, Requalifizierungsmaßnahmen, Wissenschaftszusammenarbeit etc. – letztendlich Transfers, wenn auch mit investivem Charakter. Der Sinn der Übung war immer: Die Reicheren zahlen mehr ein, und die Schwächeren bekommen mehr heraus; mit der Zielsetzung, dass sich der Reichtum insgesamt vermehrt.

derStandard.at: Mit einem Schuldentransfer ist allerdings eine neue Dimension erreicht worden.

Gusenbauer: Das ist wie immer eine politische Entscheidung. Mag sein, dass Euro- und Schuldenkrise dazu führen, dass jetzt auch die Letzten wahrnehmen, dass wir in einem Boot sitzen. Der Punkt ist: Alle Maßnahmen, die dazu führen, dass die gesamte Eurozone stabil bleibt, sind jetzt – ohne über demokratische und soziale Folgen zu reden – in jedem Fall wirtschaftlich günstiger, als der Zusammenbruch einzelner.

derStandard.at: Reden wir über die demokratischen und sozialen Folgen ...

Gusenbauer: So zu tun, als würden sich die Leute bis an das Ende aller Tage alles gefallen lassen, das halte ich für eine schwere Illusion. Man muss schon sehen, dass das Potenzial für Unzufriedenheit, soziale Revolten in einzelnen Ländern Europas durchaus gegeben ist. Stellt sich also die Frage: Will ich eine Politik machen, die das fördert, oder machen wir eine Politik, die dafür sorgt, dass die Lebensgrundlagen breiter Teile der Bevölkerung in einer nachvollziehbaren Art wieder hergestellt werden?

derStandard.at: Der US-Ökonom Nouriel Roubini hat jüngst gemeint, dass die Eurozone nur noch fünf Jahre halten wird. Teilen Sie diesen Pessimismus?

Gusenbauer: Es gibt auch Leute, die den Weltuntergang für Ende 2012 voraussagen. An solche Untergangsphilosophien glaube ich nicht.

derStandard.at: Österreich hat viel Lob bekommen für sein Krisenmanagement. Gleichzeitig finden relativ viele Bürger, sie zahlen für eine Krise, die sie nicht verursacht haben. Kann man sie trösten?

Gusenbauer: Österreich hat das tatsächlich gut gemacht. Aber der normale Arbeitnehmer oder die Alleinerzieherin stellen sich berechtigterweise die Frage, warum er oder sie für die Krise zahlen soll. Diese Frage kann man nur dadurch beantworten, indem man an die Verteilung der Lasten geht. Jetzt hat sich die Wirtschaft stabilisiert und jetzt geht es darum, den Beitrag jener zu holen, die vielleicht beteiligt waren oder von der Hausse an den Finanzmärkten einen Gewinn hatten. Deswegen muss auch das Kapital stärker herangezogen werden.

derStandard.at: Finanztransaktionssteuer, bei den Stiftungen basteln, höhere Vermögenssteuern, oder was schwebt Ihnen vor?

Gusenbauer: Die Finanztransaktionssteuer halte ich für unbedingt erforderlich. Aber wir haben ungleiche Einkommensverhältnisse. Und noch viel ungleicher als die Einkommen sind die Vermögen verteilt. Aber noch viel ungleicher als die Vermögen sind die Vererbungen verteilt. Bei einer Erbschaft handelt sich um einen Vermögenszufall, zu dem ich keinen Beitrag leiste. Wenn jemand das Glück hat, dass er erbt, ist es diskussionswürdig, dass er auch einen Beitrag dazu leistet, dass diejenigen, die nicht erben, bessere Chancen für die Zukunft ihres Lebens haben. Wenn man sich da auf eine neue Form einigen könnte, sollten Einnahmen aus einer Erbschaftssteuer dazu verwendet werden, um erstklassige Ausbildungschancen für alle Jugendlichen – vom Meisterkurs für Lehrlinge über die Schule bis zur Uni – zu fördern.

derStandard.at: Am Weg zur Modernisierung gibt es viele Verlierer, die sich politisch vermutlich auch dem rechten Spektrum annähern. Hat die Sozialdemokratie da versagt?

Gusenbauer: Ich glaube, dass eine ökonomistische Erklärungsweise für den Aufstieg der Rechten zu kurz greift. Es gibt ja sehr viele, die durchaus gute Einkommen haben und trotzdem in diesem Spektrum wählen. Aber: Wir haben nach wie vor eine zu hohe Anzahl von jungen Menschen, die die Primärtechniken nicht beherrschen. Wenn wir eine Pisa-Risikogruppe von 15 bis 20 Prozent haben, ist das eine soziale Zeitbombe, denn das sind die zukünftigen Sozialhilfeempfänger. Das kann eine hochentwickelte Volkswirtschaft wie Österreich nicht verkraften. Man muss das Bildungsniveau so heben, dass diese Gruppe dramatisch reduziert wird. Wenn ein Großteil der Gesellschaft in die so genannte solidarische Hochleistungsgesellschaft involviert ist, kann ich mir auch leisten, das jene ein Auskommen mit ihrem Einkommen haben, die sinnstiftende, aber auch einfachere Tätigkeiten verrichten.

derStandard.at: Das österreichische Bildungssystem ist ja schon ewig im Umbau, auch unter Ihrer Kanzlerschaft ist die Sache eher zäh vonstatten gegangen.

Gusenbauer: Das ist eine journalistische Wahrnehmung, die knapp, aber doch an der Realität vorbeigeht. Die Wahrheit ist: Ich habe die Bildungsdiskussion in Österreich begonnen. Bis dahin hat das im Wesentlichen als Orchideenthema gegolten. Und bei aller Zähigkeit der Debatte, es bewegt sich doch etwas: Wenn wir die Zahlen der Ganztagesschulen in Österreich massiv erhöhen, wenn wir zumindest einmal die neue Mittelschule bekommen, wenn die modulare Oberstufe eingeführt wird, wenn wir uns in Richtung vereinheitlichtes Maturasystem bewegen.

derStandard.at: Sie kommentieren die heimische Innenpolitik nicht. Deswegen eine Frage zu Ihrer eigenen politischen Karriere. Bruno Kreisky war immer Ihr großes Vorbild. Der konnte drei Perioden lang allein regieren, Sie hingegen mussten stets mit der ÖVP Kompromisse suchen. Fühlen Sie sich ein bisschen mit unfairen Mitteln bekämpft?

Gusenbauer: Es liegt grundsätzlich in der Natur des Menschen, dass man sich mit unfairen Mitteln bekämpft fühlt. Da wäre ich keine Ausnahme.

derStandard.at: Viele in der SPÖ und darüber hinaus sagen ja, dass Sie ein genauso großer Kanzler werden hätten können wie Kreisky.

Gusenbauer: Das werden wir nicht mehr erfahren.

***

Nach einer knappen Stunde des Plauderns schlägt Gusenbauer vor, in sein Büro zu gehen. Voraussetzung dafür ist, dass die Besucher mit dem Fotografieren fertig sind. Neben der heimischen Innenpolitik möchte er auch seine Beratungstätigkeit für den kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew nicht kommentieren.

Das Office befindet sich am Ende eines Ganges, dessen Wandregale über und über mit Ordnern vollgestopft sind. Hinter mehreren schmalen Glastüren in der Regalwand sind kleine Büros zu sehen. Leo Specht, Inhaber der Kanzlei und Geschäftspartner Gusenbauers, begrüßt den Ex-SPÖ-Chef auf dem Gang mit einem spitzbübischen "Hallo Heuschrecke!"

In Gusenbauers Büro liegen vor allem viele Bücher herum, auf dem Schreibtisch etwa die neue Biografie von Otto Bauer, das Buch "Über Kreisky" von Helene Maimann oder auch "Der imperiale Traum" von John Darwin. Auf einem Bücherregal lagern neben den Büchern und Zeitschriften ein paar Flaschen Wein. Auf dem Fenstersims steht ein altes Transistorradio, an der Wand eine weiße Tafel mit dem spanischen Sprichwort "Caminante, no hay camino, se hace camino al andar" ("Wanderer, es gibt keine Wege, die Wege entstehen im Gehen").

Der Ex-Kanzler raucht sich eine Marlboro an und hat jetzt sein Sakko abgelegt. Die silberfarbenen Manschettenknöpfe tragen die Initialen "AG".

derStandard.at: Ihre derzeitigen Jobs sind ja eine ganze Menge ...

Gusenbauer: Ich habe keine Jobs. Ich habe Beschäftigungen.

derStandard.at: Wo liegt der Unterschied?

Gusenbauer: Ein Job ist meistens, wenn ich als unselbstständig Tätiger unterwegs bin. Sie gehen ja auch nicht zu einem Unternehmer und fragen: "Was haben Sie für Jobs?"

derStandard.at: Also zu Ihren Beschäftigungen in der Haselsteiner'schen Privatstiftung, bei Signa im Immobiliengeschäft und bei der Strabag: Was liegt Ihnen am meisten?

Gusenbauer: Mich interessiert das alles. Ich habe für Infrastruktur, Bauen, Immobilien, Energie und Investitionen immer schon etwas übrig gehabt. Wenn ich heute unterwegs bin und ich sehe eine Strabag-Baustelle, dann bleibe ich stehen und schaue mir an, was unsere Mitarbeiter da so machen, frage sie, wie es ihnen geht.

derStandard.at: Auch unangekündigt?

Gusenbauer: Nur unangekündigt!

derStandard.at: Stiftungen sind für viele Ihrer Parteigenossen ein rotes Tuch. Müssen Sie da öfters etwas erklären?

Gusenbauer: Nein, ich brauche da gar nichts zu erklären. Denn die Haselsteiner Privatstiftung ist eine, die versucht, das Vermögen der Familie in einer vernünftigen Art und Weise zu erhalten. Und ein substantieller Teil soll auch für Aufgaben zur Verfügung stehen, die jenseits der Vermehrung des Familienvermögens liegen. Wenn ich daran erinnern darf, dass Hans Peter Haselsteiner etwa die Sozialprojekte von Pater Sporschill in Moldawien oder das Flüchtlingshaus der Ute Bock unterstützt und wir im Kulturbereich ganz wesentliches Sponsoring machen, etwa der Tiroler Festspiele in Erl.

derStandard.at: Wäre es nicht eine Idee, wenn Sie und Herr Haselsteiner sich politisch zusammentun?

Gusenbauer: Das steht nicht auf unserer Tagesordnung.

derStandard.at: Zur unvermeidlichen Heuschrecken-Frage: Ist es leichter, Geld einzusammeln, als Wählerstimmen?

Gusenbauer: Also, zum einen habe ich ja das Glück, dass ich, was die Zustimmung in Form von Wählerstimmen betroffen hat, doch auf eine gewisse Erfolgsgeschichte zurückblicken kann. Es ist mir bei mehreren Wahlgängen gelungen, doch eine sehr große Anzahl an Österreicherinnen und Österreichern davon zu überzeugen, dass das, was ich mir mit meinen Freunden vorgestellt habe, sinnvoll und richtig wäre für Österreich – und deshalb waren die Wahlergebnisse rund um die 35 Prozent. Ich habe mir zwar etwas anderes vorgestellt, aber viele wären heute schon mit dem zufrieden. Das ist natürlich ein sehr aufwändiger Prozess, eine sehr große Anzahl von Menschen von einem Projekt zu überzeugen. Ich habe das auch mit großer Leidenschaft und Energie gemacht. Geld einsammeln, oder der Hinweis auf die so genannte Heuschreckenfunktion, das ist natürlich wieder so eine typische journalistische Unsinnigkeit.

derStandard.at: ... die aber aus der sozialdemokratischen Ecke kommt, wie Sie ja wissen.

Gusenbauer: Ja, aber es ist für etwas völlig anderes verwendet worden.

derStandard.at: Im Endeffekt auch für Private Equity.

Gusenbauer: Es ist unzweifelhaft so, dass es Heuschrecken gibt und dass man Heuschrecken auch so benennen kann. Aber es wäre unsinnig, einen Elefanten als Heuschrecke zu bezeichnen.

derStandard.at: Hätte ich Geld, und stellte es Ihnen zur Verfügung: Wie könnte ich sicher sein, dass Sie keine Heuschrecke sind?

Gusenbauer: Zum einen ist das natürlich eine Vertrauensfrage. Und zum zweiten: Wenn Sie über genügend Kleingeld verfügen, dann können Sie natürlich bei uns im Investment-Komitee mitreden.

derStandard.at: Wie viel Geld bräuchte ich?

Gusenbauer: Auch mit dem ordnungsgemäßen Gehalt einer Redakteurin wird sich das nicht ausgehen.

derStandard.at: Worum geht es im Kern?

Gusenbauer: Ein Großteil der Unternehmensfinanzierungen findet nach wie vor über Kredite statt. Das wird in Zukunft bedeutend schwieriger werden. Wir stehen daher in Österreich vor der speziellen Herausforderung, dass wir andere Formen von Finanzierungen stärker in Anspruch nehmen müssen. Dazu gehört, Private Equity – also privates Kapital zur Unternehmensfinanzierung zu mobilisieren. Wir wollen uns darauf konzentrieren, KMU zu unterstützen.

derStandard.at: Gibt es schon Abschlüsse, Zukäufe etc.?

Gusenbauer: Seit das publik geworden ist, werden wir praktisch täglich mit Vorschlägen konfrontiert, die wir uns natürlich sehr genau anschauen. Und alleine die erste Welle der letzten zwei Wochen hat schon gezeigt, welcher Bedarf hier in Wirklichkeit besteht.

derStandard.at: Wieviel Kapital haben Sie schon beisammen?

Gusenbauer: Genug.

derStandard.at: Was haben Sie sich damals gedacht, worum es in der Politik geht, und geht es in der Wirtschaft um etwas anderes?

Gusenbauer: Naja, ich würde sagen: Politik und Wirtschaft sind nicht so unterschiedlich wie man glaubt. Einer der wesentlichen Unterschiede ist, dass es in der Wirtschaft eine permanente stärkere Ergebnisorientierung gibt, während die Ergebnisorientierung in der Politik sich immer stärker auf die Wahlkämpfe konzentriert. Während sozusagen zwischen den Wahlzeiten die Selbstinszenierungsfaktoren der Politik manchmal stärker sind als die Ergebnisorientierung.

derStandard.at: Sie machen ja sozusagen eine Blitzkarriere in der Wirtschaft. Hat Sie das überrascht?

Gusenbauer: Überrascht...ich bin ja selten zu überraschen. Nein, es war wohltuend, dass sich das so entwickelt hat, und ich sage immer, wenn mich die Leute fragen, wie es mir geht und ob mir das alles so gefällt: Wenn es die nächsten 50 Jahre so bleibt, bin ich sehr zufrieden. (Regina Bruckner, Martin Putschögl, derStandard.at, 4.8.2011)