Hanoi - Seit Ende Mai ist die Situation angespannt in Vietnam. Damals durchschnitten Chinesen zweimal Seekabel vietnamesischer Ölerkundungsschiffe, die in einem Seegebiet im Südchinesischen Meer kreuzten, das sowohl Vietnam als auch China für sich beanspruchen. Acht Wochen lang demonstrierten darauf junge Vietnamesen jeden Sonntag in Hanoi. Lediglich dieses Wochenende fielen die Proteste im regnerischen Hanoi buchstäblich ins Wasser.

Nur einige hundert patriotisch gesinnter Demonstranten gingen auf die Straße. Für Vietnam, wo Demonstrationen selten sind, ist das ungewöhnlich. Sechs Wochen lang ließen die Behörden die Demonstranten gewähren. Zweimal schlugen sie die Proteste gewaltsam nieder.

Der Konflikt um die Ansprüche im Südchinesischen Meer (siehe Grafik) ist alt. Neu ist, wie Vietnams Regierung darauf reagiert. Statt diplomatischer Floskeln sind konfrontative Töne zu hören: Vietnams Premier Nguyen Tan Dung erließ ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Eskalation Ende Juni ein Dekret, welche Personen im Kriegsfall zum Militärdienst verpflichtet werden sollen. "Die vietnamesische Marine wird alles tun, um die Unabhängigkeit und territoriale Integrität Vietnams zu verteidigen" , erklärte eine Sprecherin des Außenministeriums damals. Die Marine fuhr im Juni zu einer Übung mit scharfer Munition in das Küstengewässer aus. Im Juli hielt sie dort eine gemeinsame Übung mit - ausgerechnet - den USA ab.

Im Streit geht es um Energieressourcen. Doch allein mit rationalen Argumenten ist die aufgepuschte Stimmung in Vietnam nicht erklärbar. Es spielen jahrhundertealte antichinesische Ressentiments eine Rolle, die tief verwurzelt sind und in Zeiten der in Vietnam allgegenwärtigen chinesischen Massenprodukte neue Nahrung erhalten.

1974, ein Jahr vor dem Fall Saigons, hatte China das Machtvakuum ausgenutzt und mehrere Inseln erobert. Seitdem unterhält Peking dort einen Militärstützpunkt und bohrt nach Öl. 1988 gab es eine militärische Eskalation: China versenkte ein vietnamesisches Kriegsschiff. 70 Seeleute starben. (Marina Mai, DER STANDARD, Printausgabe, 1.8.2011)