Franz-Stefan Gady (28) ist austroamerikanischer Politikwissenschafter, Sicherheitsexperte und Mitarbeiter des East-West-Instituts in New York. Der gebürtige Steirer forscht vor allem über Afghanistan, China und Cybersecurity.

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Man dürfe die militärischen Kapazitäten Pekings auch nicht überschätzen, sagt er zu Christoph Prantner.

Standard: China hat erklärt, dass seine Kriegsmarine über die erste Insellinie (siehe Grafik) hinausfahren und ihr Operationsgebiet deutlich ausweiten will. Was ist das strategische Interesse dahinter?

Gady: Die "first island chain" und der Fokus auf den Streit im Südchinesischen Meer sind eine strategische Zwangsjacke für Peking. Chinas Spielraum wird vor allem von Taiwan eingeschränkt. Schon in den 1950er-Jahren hat General MacArthur erklärt, dass Taiwan ein unsinkbarer Flugzeugträger der USA sei, mit dem China eingedämmt werden kann. Derzeit aber sind die Ambitionen Pekings eher ein Wunschdenken, die Chinesen haben weder die Kapazitäten noch das Training, um Macht über die erste Insellinie hinauszuprojizieren. Sie konzentrieren sich im Wesentlichen darauf, den Zugang zu den von ihnen beanspruchten Gewässern zu sperren – durch kleine Schiffe, U-Boote und Luftmacht.

Standard: Es heißt, China habe inzwischen die zweitgrößte Kriegsmarine der Welt.

Gady: Nach reinen Zahlen, ja. Aber: Die meisten Schiffe der Chinesen sind veraltet, das Training ist schlecht. Und bisher haben sie noch keinen einzigen Flugzeugträger in Dienst gestellt. Das ist die zentrale Kompetenz, die eine Kriegsmarine in Zukunft haben muss.

Standard: Wie lange wird es noch dauern, bis die Marine der Volksbefreiungsarmee ihren Rückstand gegenüber den USA aufgeholt hat?

Gady: Noch mindestens 15 Jahre.

Standard: Wie hoch ist die Gefahr eines offenen Konfliktes?

Gady: Was die südchinesische betrifft, sind die USA der Elefant im Porzellanladen. Vor allem Vietnam und die Philippinen versuchen den Amerikanern ein Bein zu stellen und sie in den Konflikt hineinzuziehen, die Chinesen dagegen tun alles, um den Elefanten aufzufangen. Es ist ein Pokerspiel, bei dem jeder blufft. Aber Interesse an einem Krieg hat niemand. (Christoph Prantner, DER STANDARD, Printausgabe, 1.8.2011)