US-Ökonom Barry Eichengreen rät zur Erhöhung der Schulden- obergrenze bis nach den Präsidentschaftswahlen 2012. Danach hätte das Land genug Zeit, das US-Defizit in den Griff zu bekommen.

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Ein Sparkurs würde die US-Wirtschaft endgültig über die Klippen stoßen, ist der Ökonom Barry Eichengreen überzeugt. Warum auch Europas Schuldenprobleme noch nicht gelöst seien, sagte er Andras Szigètvari.

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STANDARD: Sowohl die Eurozone als auch die USA kämpfen gegen Schuldenkrisen an. Wer steht schlechter da?

Eichengreen: Beide stehen schlecht da, samt dem Rest der Welt. Mir scheint es, als wären die Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks in einen Wettbewerb verstrickt, bei dem es darum geht zu beweisen, wer inkompetenter ist. Beide Krisen sind Ausdruck einer Führungsschwäche. Denn die ökonomischen Lösungen liegen ja sowohl in Amerika wie in Europa auf der Hand.

STANDARD: Ist es nicht zu einfach, der Politik die Schuld zu geben? Es geht ja um sehr komplexe Fragen.

Eichengreen: Das stimmt. Wobei die Probleme sehr unterschiedlich sind: Europa kämpft gegen eine akute Krise. Das neue Rettungspaket für Griechenland hat die Schwierigkeiten nicht gelöst. Im Gegenteil, die Krise ist zurück, die Risikoaufschläge für Italien sind wieder auf Rekordhöhe. Die Situation wird sich auch weiter rasant verschlechtern, solange nicht endlich eine echte Umschuldung Griechenlands passiert. Amerika hat dagegen kein akutes Finanzproblem: Die Regierung kommt zu historisch niedrigen Zinsen an Geld. Erst in den kommenden zehn Jahren werden unsere Gesundheitsausgaben so stark ansteigen, dass sich Amerika etwas überlegen wird müssen.

STANDARD: Trotzdem wird in den USA über Einsparungen diskutiert. Die Republikaner wollen die Schuldenobergrenze nur anheben, wenn kräftig gespart wird. Die Demokraten haben reagiert, schlagen selbst Budgetkürzungen vor.

Eichengreen: Genau da liegt der Fehler. Die Republikaner haben die Wirtschaft des Landes in Geiselhaft genommen, um ihre finanzpolitischen Vorstellungen mit Vehemenz durchzusetzen. Die Demokraten haben den Fehler gemacht und sich auf dieses Spiel eingelassen. Dabei wäre das Schlimmste, was Amerika jetzt passieren könnte, dass die Regierung ihre Ausgaben zurückfährt. Die US-Wirtschaft wächst kaum noch, die Laune der Konsumenten ist schlecht, das Land steht am Rande einer neuen Rezession. Ein Sparprogramm würde die Wirtschaft endgültig über die Klippen stoßen.

STANDARD: Was schlagen Sie in dieser verfahrenen Situation vor?

Eichengreen:  Im Augenblick wäre es völlig ausreichend, die Schuldenobergrenze bis nach den Präsidentschaftswahlen 2012 anzuheben. Danach hätte man genug Zeit, um sich in Ruhe zu überlegen, wie man später - in den Jahren 2013, 2014, das US-Defizit in den Griff bekommt.

STANDARD: Gerungen wird dem Anschein nach auch um mögliche Steuererhöhungen.

Eichengreen: Nicht wirklich. Weder im Plan des republikanischen Mehrheitsführer John Boehner noch in jenem des Demokraten Harry Reid sind Steuererhöhungen vorgesehen. Im politischen System der USA werden Steuererhöhungen tabuisiert. Der Diskurs wird von Leuten dominiert, die behaupten, unser Staat sei zu groß. Dabei sind die Ausgaben der US-Regierung gemessen an unserer Wirtschaftsleistung die niedrigsten aller westlichen Industriestaaten.

STANDARD: Sie haben vorhin erwähnt, dass die Europäer es nicht geschafft haben, die Schuldenprobleme zu lösen. Warum nicht?

Eichengreen: Die beim letzten Griechenland-Gipfel erzielte Einigung ist eine schreckliche Übereinkunft. Was da durch die Schlagzeilen gegeistert ist, dass Griechenlands Schulden um 21 Prozent gesenkt werden, ist falsch und missverständlich. Griechenland muss ja neue Schulden machen, indem es Staatsanleihen kaufen muss. Diese Anleihen gibt Athen an die Banken weiter. Erst im Gegenzug dafür haben sich die Banken bereiterklärt, Griechenland mehr Zeit für die Rückzahlung seiner Schulden zu geben. Die Vereinbarung wird also die Verschuldung Griechenlands weiter erhöhen. Die Einzigen, die einen stärkeren Beitrag zur Rettung des Landes leisten, sind die europäischen Steuerzahler. Die Banken profitieren. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.8.2011)