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Kein hauptberuflicher Spanier: Javier Marías.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Der spanische Schriftsteller Javier Marías erhielt am Samstag in Salzburg den österreichischen Staatspreis für europäische Literatur. Mit Andrea Schurian sprach er über die Magie der Literatur und über Thomas Bernhard.

Salzburg - Kleines, feines Mittagessen zu Ehren Javier Marías' in der Galerie Ruzicska; an den Wänden lackierte Aluminium-Wandobjekte des deutschen Künstlers Gerold Miller. Davor, fast ein bisschen verloren, zurückhaltend und bescheiden: der spanische Schriftsteller, der am Samstag mit dem österreichischen Staatspreis für europäische Literatur ausgezeichnet wurde. Begründet 1965, wurden mit dem Preis unter anderem Eugène Ionesco, Václav Havel, Doris Lessing, Simone de Beauvoir, Christa Wolf, Jürg Laederach, Jorge Semprún, A. L. Kennedy, Ágota Kristóf und Paul Nizon geehrt.

STANDARD: Herzliche Gratulation zur Auszeichnung ...

Marías: ... die mich wirklich sehr freut. Zum einen schätze ich die österreichische Literatur, zum anderen fühle ich mich allein durch die Liste meiner Vorgänger geehrt: W. H. Auden beispielsweise, den ich übrigens übersetzt habe.

STANDARD: Ist es nicht auch Ihr Verdienst, dass Thomas Bernhard ins Spanische übersetzt wurde?

Marías: Ich habe ihn in den 1970ern auf Französisch gelesen und war begeistert. Meine Verleger, denen ich eine Übersetzung nahelegte, verlangten, dass vorher jemand Bernhard auf Deutsch lesen müsse - derjenige fand das Buch grauenvoll. Ich ließ nicht locker und schlug einen anderen deutschsprachigen Leser vor. Der fand das Buch ebenso gut wie ich. Er wurde dann Bernhards Übersetzer ins Spanische.

STANDARD: Was ist Ihr Lieblingsbuch von Bernhard?

Marías: Eines, das ich noch nicht gelesen habe. Als Bernhard starb, war ich betrübt, dass es keine weiteren Bücher von ihm mehr geben würde. Also stellte ich Die Auslöschung ungelesen ins Regal, um mich weiterhin auf ein neues Bernhard-Buch freuen zu können.

STANDARD: Sie haben viel übersetzt. Hat das Ihr Schreiben beeinflusst?

Marías: Ja, ich denke, Übersetzen ist eine gute Schule für jemanden, der schreibt. Natürlich hängt es davon ab, was man übersetzt - Schund wird nicht sehr hilfreich sein. Übersetzungen sind ja eigentlich ein Mysterium: Das Original des Buches ist unveränderbar, auch wenn es auf viele Weisen übersetzt werden kann. Wie in der Musik: Die Partitur bleibt gleich. Und doch ist es ein Unterschied, ob Glenn Gould oder Vladimir Horowitz das Musikstück interpretieren. In der Übersetzung verliert man jedes Wort des Originals. Dafür gewinnt man etwas, das etwas völlig anderes und doch dasselbe ist. Wenn ich die Möglichkeit hätte, Dickens meine Übersetzung seines Romans zu geben, würde er seinen eigenen Text bis auf einige Namen nicht wiedererkennen. Es wären Worte, die er nicht verstünde. Und doch wäre es das, was er geschrieben hat.

STANDARD: Wie wichtig ist Sprache?

Marías: Sie ist Vehikel. Ein Tool. Wichtig für einen Schriftsteller, aber nicht das Wichtigste. Es ist ja eher Zufall, in welcher Sprache man schreibt. Wirklich wichtig ist, was man zu sagen hat, egal in welcher Sprache.

STANDARD: In Ihren Büchern beschäftigen Sie sich oft mit verschiedenen Realitätsebenen.

Marías: Die Wirklichkeit existiert, aber sie hängt davon ab, wer sie beobachtet. Wer sie erzählt. Wenn sich Menschen an gemeinsame Erlebnisse erinnern, haben sie völlig unterschiedliche Wahrnehmungen.

STANDARD: Ist das der Punkt, wo Wirklichkeit in Literatur übergeht?

Marías: Ja, das ist einer der Gründe, warum wir Romane schreiben: Wir brauchen etwas, das unleugbar und unbezweifelbar ist. Was wir schreiben, ist Fiktion. Aber es kann nicht geleugnet oder widerlegt werden. Niemand kann sagen: "Nein, so war's nicht."

STANDARD: Recherchieren Sie viel?

Marías: Nur das Notwendigste. Ich bin Schriftsteller, nicht Historiker. Die Magie der Literatur kommt nicht von detailversessenener Recherche.

STANDARD: Schreiben Sie täglich?

Marías: Ich schreibe langsam, manchmal nur eine Seite am Tag, auf der Schreibmaschine. Manche Menschen sagen:"Oh Gott, das ist ja wirklich langsam." Ich antworte dann: "Ja, aber ich schreibe nicht, um Zeit zu sparen. Ich schreibe, um etwas zu fühlen.

STANDARD: Verstehen Sie sich als spanischer oder europäischer Schriftsteller?

Marías: Ich schreibe auf Spanisch und lebe die meiste Zeit in Spanien. Zugleich fühle ich mich als europäischer Schriftsteller. Jedenfalls bin ich kein hauptberuflicher Spanier. (Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausgabe, 1. August 2011)