Im künstlichen Uterus: Damien Chapelle allein als Überlebender.

Foto: Danny Willems

Wien - "Iss sie!", schreit der Regisseur. Der Angebrüllte ist verzweifelt. Er sei Schauspieler, jault er, und könne doch nur so tun, als ob er seine Zähne in die vor ihm liegende Kollegin schlagen würde. Der Regisseur hat genug von allem So-tun-als-Ob im Theater: "Du sollst sie verdammt nochmal essen!"

Das ist eine Filmszene am Beginn des Stücks Monkey Sandwich aus dem Jahr 2010 von Wim Vandekeybus, das am Sonntag noch einmal bei Impulstanz im Odeon und dann wieder im September beim Filmfestival der Biennale von Venedig zu sehen ist. Warum ausgerechnet dort? Weil das Stück beinahe in voller Länge aus einem Film mit parallel laufender Performance besteht.

Im Film wird eingangs Shakespeares Der Kaufmann von Venedig geprobt. Darin müsste sich Kaufmann Antonio ein Pfund Fleisch aus dem eigenen Leib schneiden, wenn er seine Schulden bei Shylock nicht bezahlen kann. Antonio unterschreibt den Vertrag, denn er ist sicher, dass seine Schiffe bald reich beladen zurückkommen werden. Bei Vandekeybus hat ein älterer Schauspieler vergessen, sein Mobiltelefon abzuschalten. Es läutet mit Melina Mercouris Hit von 1960 "Ein Schiff wird kommen".

Die Handlung in Monkey Sandwich wird von zwei Protagonisten getragen. Im Film ist das Jerry (gespielt von Jerry Killick), und auf der Bühne ein junger, nackter und namenloser Mann, verkörpert von Damien Chapelle. Erst am Ende kommen die beiden zusammen: Jerry im weißen Anzug wird als immer kleiner werdende projizierte Figur auf den Nackten einreden, ihn seinen Sohn nennen und diesen allein und desperat zurücklassen.

Erst am Ende wird also klar, was die komplexe, über mehrere Erzählebenen gespannte Filmhandlung mit dem einsamen Mann auf der Bühne zu tun hat: Sie ist ein Zeugnis aus der Vergangenheit.

Chapelle spielt ein postapokalyptisches menschliches Überbleibsel. Während der Film läuft, bastelt er Puppen aus Papier und aus Metallgestellen. Auf die Kopfteile seiner Metallmännchen setzt er Langspielplatten und versucht diese Informationsspeicher abzuspielen. Er macht Feuer und verbrennt sich, balanciert auf einer Säule wie ein Heiliger, versenkt sich wiederholt in einem gläsernen Wassertank, der an einen technoiden Uterus erinnert.

Der Film entrollt eine handfeste Dystopie, in der Wirklichkeit, Fiktion und Traum miteinander verschwimmen. Jerry ist ein überspannter Regisseur, der von der Realitätsnähe, zu der er seine Schauspieler anstachelt, überwältigt wird. Und er spielt in seiner eigenen Erzählung von einer Gruppe in Sibirien ausgesetzter Kulaken, die einander in ihrer Not aufzuessen beginnen. Ebenso erscheint Jerry als Gründer einer alternativen Gemeinschaft, deren Dorf von einer Flut weggespült wird, weil er sich als Dammbaumeister verkalkuliert hat. Dann wieder wälzt er sich als ein von Alpdrücken geplagter Schläfer, oder nimmt an einer grausigen Menschenjagd teil.

Schließlich geht Jerry unter, und mit ihm offenkundig alles, was wir als Gesellschaft und Kultur kennen. "Ich bin der, nach dem du gesucht hast", sagt ein Mann, den er an einem Eisloch trifft, und drückt Jerrys Kopf unter Wasser.

Monkey Sandwich ist ein echtes Meisterwerk und sicher Vandekeybus' überragendste Arbeit seit langem. Mit unheimlichem Geschick und bissiger Ironie strickt der Choreograf und Regisseur aus solider Film- und Performancesprache den dramatischen Prozess einer an sich selbst scheiternden Kultur. Ein Menetekel für die Abschlussnacht der Filmfestspiele in Venedig. (Helmut Ploebst, DER STANDARD - Printausgabe, 30./31. Juli 2011)