Fritz Hausjell: "Ich bin mir nicht sicher, ob sich der Verfassungsschutz diese Zusammenhänge auch schon einmal angeschaut hat. Nämlich dass einzelne Personen und auch Gruppen angeben, unter Waffen zu stehen und zwar wie sie betonen, unter funktionierenden Waffen."

Foto: peter philipp

"Die Politik muss den Attackierten dieser Ideologie noch stärker vermitteln, dass die Gesellschaft hinter ihnen steht", sagt Fritz Hausjell, Professor am Wiener Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Im derStandard.at-Interview spricht er darüber, wie die Berichterstattung über die Terroranschläge in Oslo Nachahmungstäter bestärken könnte, über die Weiterverbreitung des "Manifests" des Täters und über eine angemessene Distanzierungs der FPÖ.

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derStandard.at: Sie haben in einem Interview gesagt, Sie fürchten nach der Terroranschlägen in Oslo Nachahmungstaten und eine Radikalisierung. Wie kommen Sie zu einer solchen Annahme?

Hausjell: Wenn wir uns die Debatten in den letzten Jahren in verschiedenen Onlineforen vor Augen führen, so ist dort ein ausgesprochen hohes Maß an verbaler Radikalität anzutreffen. Wobei ich auch noch darauf verweise, dass nicht das volle Ausmaß zu sehen ist, weil verantwortungsvolle Forenbetreiber einen Teil der Beiträge mit Recht entfernen. 

Der zweite Grund, warum ich diese Befürchtung hege ist, dass es international eine ziemlich gute Vernetzung gibt. Die heftigen Reaktionen aus dem demokratischen Nahbereich dieses Rechtsextremismus, wonach es sich hier um Einzeltäter, Verrückte und kranke Menschen handle, lassen in mir den Verdacht hochkommen, dass man sich sehr wohl bewusst ist, dass das jemand ist, der zum eigenen Bereich gehört. Wenn jemand im ideologischen Bereich wie dieser Attentäter zu Hause ist und feststellen muss, dass es eine große Übereinstimmung in den Ansichten gibt, dann wäre eigentlich Betroffenheit die angemessene Reaktion. Und die Frage danach, wie es dazu kommen kann, dass jemand zu solchen eindeutig nicht demokratischen Mitteln greift.

derStandard.at: In der Medienforschung gibt es konkrete Erkenntnisse darüber, dass sich mögliche Nachahmungstäter bestärkt fühlen können, wenn die Berichterstattung über eine solche Tat in einer bestimmten Art und Weise ausfällt. Sollte die Berichterstattung anders sein?

Hausjell: Die Medienforschung hat sich unter anderem damit beschäftigt, welche Formen der Berichterstattung, auch unfreiwilligerweise, zur Nachahmung führen können. Eines der Erkenntnisse ist, dass die starke Orientierung an den Tätern und deren Motiven, jene die ähnliche Motive haben bestärken.

Umgekehrt kommt die Wahrnehmung der Opfer zu kurz. In diesem Fall ist das Problem, dass die Opfer in Norwegen typischerweise nicht zu befragen sind. Diese Opfer befinden sich am Beginn der Trauerphase. Diese Phase ist gekennzeichnet von Entsetzen, Lähmung und Hilflosigkeit. Daher macht es Sinn, noch stärker mit Menschen zu reden, die in der Betreuung mit Anschlagsopfern aktiv waren und sind.

Aber es gibt noch eine Möglichkeit: Nämlich Opfer von früheren Anschlägen zu befragen. In Österreich wären das die Angehörigen der ermordeten Roma im Burgenland durch die Bombenanschläge des Herrn Fuchs. In Deutschland könnte man die Angehörigen der Opfer der Anschläge etwa in Solingen, Hoyerswerda, Rostock oder Mölln befragen. Hier gibt es zahlreiche Angehörige, die mit der Distanz von 15, 20 Jahren sicher eindrucksvoll schildern können, welche verheerende Folgen diese Anschläge für die Familien hatten. Vor allem weil sich der Attentäter in einer christlich-fundamentalistischen-rechtsextremen Ideologie stark auf Familie konzentriert, wäre es sehr wichtig, dass die von ihm selbst angesprochene Grausamkeit in den Details dargestellt wird. 

derStandard.at: Was halten Sie davon, dass sein "Manifest" in den Medien weiter verbreitet und daraus zitiert wird?

Hausjell: Die bloße Zitation und Weiterverbreitung ist zu kurz gegriffen wenn nicht darüber diskutiert wird, was eine verbrecherische Ideologie ausmacht. Es müssen die Konsequenzen dieser Ideologie besprochen werden. Jene, die glauben, dass das vertretbare Positionen sind, können so vielleicht sensibilisiert werden. Ich würde nicht zur Tagesordnung übergehen und das als eine wirre Ideologie hinstellen. Dazu sind zu viele Teile dieser Ideologie bei breit anerkannten Gruppen anzutreffen.

derStandard.at: Die FPÖ musste sich in den letzten Tagen Fragen gefallen lassen, inwiefern sie selbst mit ihrer Hetze einen Nährboden für diese Tat geschaffen hat. Ist es legitim diese Fragen zu stellen?

Hausjell: Ich halte die Fragen in diese Richtung für sehr legitim. Eine FPÖ, die sich davon distanzieren will, einen Anteil an der Entwicklung von diesem Gedankengut zu haben, muss sich klar der Diskussion stellen. Das hat sie in meiner bisherigen Wahrnehmung so noch nicht geleistet, sondern sie ist mit einer großen Überzeugung an die Öffentlichkeit getreten. Und ich frage mich, woher sie diese Gewissheit hat, dass es sich hier um einen geisteskranken Einzeltäter handelt.

derStandard.at: Welche Verantwortung sehen Sie bei den anderen Parteien, insbesondere bei den Regierungsparteien?

Hausjell: Ich glaube, dass auch die Parteien in der Mitte gut daran tun, sich in den Fragen des Islam, der kulturellen Vielfalt in der Gesellschaft und der Liberalität sehr deutlich zu positionieren. Die Politik muss den Attackierten dieser Ideologie, das sind etwa Zuwanderer und Asylwerber, noch stärker vermitteln, dass die Gesellschaft hinter ihnen steht. Rassistische Handlungen müssen stärker geahndet werden, als das jetzt der Fall ist. Das sind wir unseren MitbürgerInnen mehr als schuldig. Es müssen jene Kräfte in der Gesellschaft gestärkt werden, die für Liberalität stehen. 

derStandard.at: Sie selbst wurden aus rechten Kreisen attackiert und bedroht. Sind Sie dieser Tage stärker alarmiert?

Hausjell: Ich erlebe verbale Anpöbelung und Bedrohungen seit den späten 80er Jahren. Diese haben sich in den frühen 90er Jahren noch einmal intensiviert und haben jetzt in den letzten Jahren meines Erachtens durch das Internet eine neue Qualität erreicht. Ich nehme diese Drohungen teilweise sehr ernst. Furcht davor ist jedoch nicht die richtige Reaktion. Es ist die richtige Reaktion die Sache zum Thema zu machen.

Es hat sich gezeigt, dass ein beachtlicher Teil dieser Poster, die mich auch mehrmals mit Mails zugemüllt hatten, nicht diskussionsbereit ist. Wenn man sich manche Personen genauer anschaut, kommt man auf Dinge, die mir sehr bedenklich erscheinen. Ich bin mir nicht sicher, ob sich der Verfassungsschutz diese Zusammenhänge auch schon einmal angeschaut hat. Nämlich dass einzelne Personen und auch Gruppen angeben, unter Waffen zu stehen und zwar wie sie betonen, unter funktionierenden Waffen. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 28. Juli 2011)