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Fastenbrechen in Algier

Foto: epa/OUAMRANE FADELA

Wer einmal einen Ramadan erlebt hat, der weiß, was für Opfer der Fastenmonat den Gläubigen abverlangt. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang dürfen sie weder Essen noch Trinken und keinerlei sonstiger körperlicher Genüsse frönen. So ein Tag kann lange sein.

Ich erlebte die letzten beiden Ramadanwochen 1999 in Algerien. Der Fastenmonat, der neunte im Mondkalender, fiel in den Januar. Die Tage waren kurz. Und dennoch war es anstrengend, zu fasten und gleichzeitig zu arbeiten. Wer als Ausländer außerhalb der internationalen Hotels lebt, kommt nicht darum herum die Regeln zu respektieren. Essen oder Trinken in der Öffentlichkeit würde zu Problemen führen. Und wer schließt sich schon gerne in einer Toilette ein, um einen Happen zu nehmen? Ich gewöhnte mich und mir wurde dafür die Anerkennung meiner Umgebung zu Teil. Als wir auf Reportagereise im Atlas waren, küsste mich ein Polizist auf beide Wangen, als er erfuhr, dass der "ungläubige" Blondschopf das Fasten respektierte.

"Warte bis der Ramadan im Sommer ist. Dann ist es richtig schwer auszuhalten", erklärte mir damals ein Freund. Dieses Jahr ist es soweit. Der Ramadan - der sich jedes Jahr um zehn bis elf Tage auf unserem Sonnenkalender verschiebt - fällt in den August. 35 bis 40 Grad hat es im Norden Algeriens, über 50 im Süden. Die Tage sind lang und Trinken ist bekanntlich strikt verboten. So mancher Arzt erklärt hinter vorgehaltener Hand, was er davon hält. Öffentlich freilich würde er seine Meinung nicht zum Besten geben. Auf die Notaufnahmen kommt viel Arbeit zu.

Der Ramadan ist ein seltsamer Monat. Es wird weniger gearbeitet. Auch wenn er nicht im Sommer ist, nimmt sich wer kann, so lange wie möglich frei. Der Rest arbeitet langsamer, bedächtiger, aber auch freundlicher. Ich habe jene zwei Wochen in Algerien in angenehmer Erinnerung. Letztendlich wurden mir Termine genehmigt, die außerhalb des Fastenmonats wegen Überarbeitung des Gesprächspartners wohl so nie stattgefunden hätten.

Der Ramadan hat auch seine Gefahren. Ich spreche nicht von den Terrorwellen, die in den 1990ern über Algerien hereinbrachen. Ich spreche vom Alltag. Es bleibt kaum aus, dass man mit einem schlecht gelaunten, zwangsabstinenten Raucher oder Trinker aneinandergerät. Je später am Tag, umso blanker die Nerven.

Die Minuten vor dem täglichen Fastenbrechen sollte man gehörigst nicht im Auto verbringen und auch keinen Zebrastreifen überqueren. Geschwindigkeitsüberschreitungen, das Überfahren roter Ampeln ... es ist alles erlaubt, um rechtzeitig an den Harira-Topf zu kommen. „Gott hat gesagt: Am liebsten unter meinen Dienern ist mir, wer am schnellsten das Fasten bricht", soll Mohammed gesagt haben. An den modernen Straßenverkehr hat er dabei freilich nicht gedacht.

Suppe, Fleisch in Soße, süßes Fleisch, Gebäck, Obst, Tee ... so ein Abendmahl ist lang. Gegessen wird im Wohnzimmer, versammelt um einen niedrigen Tisch auf Sofas und sonstigen Polsterlandschaften. Zum Glück. Denn nach einem Fastentag ist so ein Gelage ein hartes Stück Arbeit für den Körper. Ein Nickerchen nach dem Tee gehört dazu. Dann geht es auf die Straße. Musik, Theater, Kaffeehausbesuche ... der Fastenmonat ist normalerweise ein Festmonat. Im Algerien der 1990er war er das nicht. Aus Angst vor Bomben blieben die Menschen zu Hause. Eine Nacht fuhren wir im Auto durch die Stadt. Algier war gespenstisch leer. Bewaffnete Soldaten und Polizisten an den Kreuzungen, das war alles.

Für so manche Familie ist der Ramadan vor allem eine finanzielle Belastung. Es wird zwar nur am Abend gegessen, dafür aber mehr als sonst und die Menschen kaufen Lebensmittel, die den Rest des Jahres nicht auf den Tisch kommen. Die Händler nutzen dies schamlos aus. Die Preise steigen den ganzen Monat über ständig an. Das geht auf den Geldbeutel. So mancher verschuldet sich. "Ramadan ist wie Weihnachten nur länger", sagte mir einmal jemand resigniert.

So sind dann auch alle froh, wenn der Monat vorbei ist und das Leben wieder seinen normalen hektischen Lauf nimmt. Die Kinder werden mit neu eingekleidet. Es geht auf den Friedhof, um die verstorben Angehörigen zu ehren. Wann es Zeit für Aid El Fitr ist - so heißt das Fest danach - das weiß keiner genau zu sagen. Es ist der Mond, der dies bestimmt. Sobald die zarte Sichel des zunehmenden Mondes zu sehen ist, also am Tag nach dem Neumond, beginnt der neue Monat, der Ramadan ist vorbei. Man sollte glauben, dass dieses Himmelsphänomen exakt vorhersagbar ist. Schließlich ist der Neumond in jedem billigen Taschenkalender vermerkt.

Weit gefehlt. In Algerien - und in der restlichen islamischen Welt - schauen die religiösen Gelehrten in den Himmel. Wenn sie sich einig sind, dann darf wieder normal gegessen werden. 1999 waren wir uns alle sicher, dass es heute soweit ist. Doch einer der Gelehrten wollten den Mond einfach nicht ausmachen. Wir mussten einen weiteren Tag Fasten. Freunde hat sich der Gelehrte damit keine gemacht.