Die kruden Theorien, derer sich der norwegische Attentäter Anders Breivik in seinem 1.500-Seiten starken "Manifest" bedient, lassen tief in die Seele eines modernen Rechtsextremen blicken, sagt DÖW-Experte Heribert Schiedel im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Breivik fantasiert in seinem Pamphlet unter anderem von der "drohenden Auslöschung der westeuropäischen Rasse" und von "demographischer Kriegsführung". Erinnert diese Phraseologie nicht stark an die "Umvolkung" des FPÖ-Ideologen Andreas Mölzer?

Heribert Schiedel: Natürlich müssen sich die Herrschaften überlegen, ob sie verantwortungsvoll mit ihrer Sprache umgegangen sind und umgehen. Aber das ist nicht als Schuldvorwurf zu verstehen, Breivik hat sich in seinem wirren, eklektizistischen Geschreibe alle möglichen Versatzstücke aus dem Internet zusammengestoppelt, wie es ihm gerade gepasst hat. Er versucht verschiedene Stränge zusammenzubringen, die historisch und theoretisch im europäischen Rechtsextremismus nichts miteinander zu tun haben. Natürlich kommt dann auch der europäische Bewegungscharakter der Neuen Rechten, in dem die FPÖ seit 2005 so etwas wie die Avantgarde ist, zum Einsatz. Und dort findet man ganz stark das Feindbild Muslime, während etwa bei Geert Wilders (niederländischer Rechtspopulist, Anm.) der fundamentalistische Islam als politische Bedrohung betrachtet wird. Man findet dort viel FPÖ-Propaganda, das Nikolo-Verbot ist da das beste Beispiel.

derStandard.at: Ist die Sorge der Rechten vor dem "demographischen Dschihad", wie Breivik schreibt, neu?

Schiedel: Nein, im Gegenteil, das gab es schon immer. Dahinter steckt die Angst vor dem Untergang, vor der Dekadenz, und diese Angst ist älter als der Faschismus selber. Karl Kraus hat diese Leute die "Untergangster" genannt. Natürlich trägt Strache keine Schuld daran, dass Breivik sozusagen den Schalter umgelegt hat, aber in Zeiten des Internet muss man schon sehen, wie schnell so ein Mensch an Dinge gelangt, die dort verbreitet werden. Natürlich hat der Wahn mit der „demographischen Bombe" auch einen wahren Kern, natürlich bekommen muslimische Zuwanderer im Schnitt mehr Kinder. Aber das ist eine soziale Frage und keine kulturelle Frage. Diese Ängste hat es also schon immer gegeben, die Strategien dagegen auch: Erlösung durch Vernichtung, so wie Breivik es anscheinend zum Ziel hatte.

derStandard.at: Ist dieses ideologische Amalgam, aus dem sich das Weltbild des Attentäters scheintbar nährt, typisch für die Neue Rechte?

Schiedel: Auf jeden Fall. Was für die jetzige Generation der Rechten neu dazukommt ist eine zumindest formale Distanzierung vom Nationalsozialismus. Dafür hat Breivik sich ein apokalyptisches, fast schon religiöses Gut-Böse-Schema aufgebaut, das je nach Epoche gefüllt wird. Erst waren es die Türken, die Wien belagert haben, heute sind es die Globalisierer, Multikulturalisten und die Muslime.

derStandard.at: Der Attentäter schwärmt auch von einer Allianz der Christen etwa mit Juden und Hindus gegen die Muslime.

Schiedel: Diese Verbindung ist noch nicht so alt, es gibt sie erst seit etwa 2004 oder 2005. Damals hat sich eine Fraktion der Rechten mit den Islamisten verbündet, die andere, eher christlich und fundamentalisch angehauchte Fraktion hat sich aufgrund der geopolitischen Lage mit Israel identifiziert. Der Kurzschluss bei beiden ist die Fehlannahme, dass es beim Kampf zwischen Israel und den Palästinensern um Religion ginge.

derStandard.at: Ein österreichischer Politologe spricht davon, dass Breivik der erste islamkritische Blogger sei, der zu Gewalt gegriffen habe. Stimmen Sie dem zu?

Schiedel: Er ist in der Szene durch antiislamische Postings bekannt geworden. Aber natürlich ist islamkritisch für Leute wie Breivik eine Schutzbehauptung, weil sich hinter dem selben Schlagwort auch Menschen wie Leon de Winter oder Henryk M. Broder verbergen, die mit Rechtsextremisten nichts zu tun haben. Auch das ist sehr alt, Nazis haben sich früher als Sozialisten bezeichnet und Burschenschaftler als Frauenrechtler.

derStandard.at: Stichwort neue Allianzen. Breivik heißt Milosevic gut und geißelt Amerika. Woher dieser Hass auf die USA, wo sich seine restliche Wut doch vor allem auf Muslime richtet?

Schiedel: Wie früher schon erwähnt baut sich Breivik sein Weltbild frei zusammen und versucht hier offenbar, die beiden Fraktionen der Neuen Rechten zusammenzustückeln. Die rechtspopulistische Moslemfresserei einerseits, und der altrechte, in der Tradition des europäischen Faschismus stehende und mit antisemitischen Motiven gespickte Antiamerikanismus. Die ideologische Herleitung ist die, dass die USA ein Interesse an einem überfremdeten Europa hätten, weil es so leichter wirtschaftlich auszubeuten sei. Die Ostküste unterwandere demnach unseren Kontinent systematisch, in dem sie hinter der muslimischen Zuwanderung stehe.

derStandard.at: 77 Mal kommt Österreich in dem so genannten Manifest vor. Warum?

Schiedel: Österreich war historisch ein Frontstaat gegen die Islamisierung und politisch in der Jetztzeit das erste Land, wo die antiislamische Bewegung erfolgreich und salonfähig geworden ist. Dass Österreich heute schon in den Händen des Islam ist, erklärt sich Breivik wohl durch den Verhetzungsparagrafen in unserem Gesetzbuch, weswegen einige, von ihm nicht namentlich genannte Menschen verurteilt wurden. Daraus folgert er, man dürfe in Österreich nicht mehr gegen den Islam sprechen.

derStandard.at: Ist Islamkritik jetzt auf alle Zeiten diskreditiert?

Schiedel: Islamkritik, die keine ist, sondern nur auf Ressentiment und Rassismus basiert, hoffentlich schon. (flon/derStandard.at, 25.7.2011)