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Kacem El Ghazzali legt sich mit etwas an, von dem ein Marokkaner besser die Finger lässt. Er schreibt gegen die Religion. Der 21- Jahre junge Berber bekennt sich auf seinen Blogs auf Arabisch und Englisch zum Atheismus. Das brachte in seiner Heimat Behörden und Islamisten gegen ihn auf. Er kannte nur noch einen Ausweg. Er floh im Februar in die Schweiz.

Ghazzali wurde 2007 erstmals im Netz aktiv. Er berichtete unter Pseudonym über seine Zweifel am Glauben. Er stellte philosophische Überlegungen an. Kritisierte Auswüchse der Scharia im Iran und anderen Ländern. Das reichte schon. Nach nur einem Jahr bedrohte ihn jemand auf seiner eigenen Facebookseite. "Ich weiß bis heute nicht, wie sie auf meine wahre Identität gekommen sind", sagt El Ghazzali. Er trat die Flucht nach vorn an, und bekannte sich mich mit vollem Namen zum Blog.

"Nach kurzer Zeit wussten alle über mich Bescheid. Die Lehrer auf dem Gymnasium begannen gegen mich zu hetzen." Sie brachten ihn mit den Mohammed-Karikaturen in Zusammenhang, nannten ihn wahlweise "Ungläubiger", "Jude", "Feind des Islams und von König Mohamed VI.", der per Verfassung "Führer aller Gläubigen" ist. Eines Tages eskalierte die Situation. Der Direktor schlug ihn. Mitschüler bewarfen ihn mit Steinen. Als El Ghazzali im vergangenen Oktober dem Nachrichtensender France24 Rede und Antwort stand, häuften sich die Drohungen.

In internationalen Internetforen verlangen radikale Islamisten seinen Tod: "Als ich Anzeige erstattete, forderten mich die marokkanischen Behörden auf, alle Blogs zu schließen. Sonst könnten sie mich nicht schützen." Und schlimmer noch: "Gegen die Religion zu reden, wird in Marokko als Werbung für andere Religionen ausgelegt. Das steht unter Strafe." Die Geheimpolizei ließ keinen Zweifel daran, was mit einem wie ihm passieren kann. "Es sei durchaus möglich, dass mich ein Drogendealer oder ein Kleinkrimineller tötet. Das würde dann nicht nach Verfolgung aussehen, warnten sie."

Er tauchte bei Freunden in verschiedenen Städten Marokkos unter. Als er wieder Drohanrufe bekam, und die Stimmen am anderen Ende keinen Zweifel daran ließen, dass sie ihm dicht auf den Fersen waren, floh er in die Schweiz. Wie weit der Arm der Islamisten reicht, erfuhr El Ghazzali im Auffanglager unweit von Genf. "Ein paar Tunesier bedrohten mich ganz offen, sie wüssten, wer ich sei", berichtet er.

El Ghazzali stammt aus einer sehr religiösen, sufistischen Familie. "Mein Vater wollte, dass ich eine Laufbahn zum Vorbeter oder islamischen Rechtsgelehrten einschlage", erzählt der Sohn eines Zahnarztes. El Ghazzali gehorchte drei Jahre. Er besuchte eine Koranschule, lernte unzählige Suren auswendig. "Debatte, Kritik war nicht zugelassen." Das widersprach so ganz der Art von El Ghazzali, der am Gymnasium begeistert Philosophie und Mathematik lernte. Schließlich verließ er die Koranschule. Nach langem inneren Streit begann er die Religion als solche zum Thema zu machen. Obwohl der Sufismus nicht die orthodoxeste aller islamischen Strömungen ist, hat auch sein Vater kein Verständnis für den Jungen. "Er wirft mir vor, seinem Ansehen zu schaden", erzählt El Ghazzali.

"Die Religionsfreiheit ist eine persönliche Freiheit, die in Marokko nicht respektiert wird", resümiert El Ghazzali. In der restlichen arabischen Welt sehe es nicht anders aus. "Wir leben wie im Gefängnis. Wir leben als zwei Personen in einer. Nach außen werden wir gezwungen religiös zu sein, obwohl wir es nicht sind", erklärt er. In der arabischen Welt gilt: Einmal Muslim, immer Muslim. "Wir sind Tausende", weiß El Ghazzali. Seit es Facebook gibt, treffen sich viele ehemalige Muslime in geschlossenen Foren. "Dank der neue Medien sehen wir, dass wir nicht alleine sind, das tut gut", sagt El Ghazzali. Mittlerweile ist eine Facebook-Gruppe entstanden, die dazu aufruft, das Fastengebot im Ramandan nicht zu akzeptieren. Ob und wie jemand das religiöse Gebot einhält sei schließlich eine persönliche Entscheidung.