"Man sieht nicht nur von der Straße ins Geschäft hinein, sondern auch vom Geschäft hinunter auf die Straße." David Chipperfield im neuen Kaufhaus Peek & Cloppenburg.

Foto: Larry Williams

Wojciech Czaja traf ihn zum Gespräch.

Der Londoner Architekt David Chipperfield (58) ist so britisch wie man nur britisch sein kann. Seine Gebäude sind von einer unterkühlten Ästhetik, als Material kommen meist Stein und Beton zum Einsatz, und über allem liegt ein strenger linearer Raster. Sogar bei der von ihm gestalteten Teetasse "Tonale" für Alessi hat man das Gefühl, die Lippen unschmeichelhaft zu einem Rechteck formen zu müssen.

Nach ein paar spektakulären Projekten wie etwa dem America's Cup Building "Veles e Vents" in Sevilla (2006), der Ciudad de la Justicia in Barcelona (2009), dem Anchorage Rasmuson Center Museum in Alaska (2009) und der Rekonstruktion des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel (2009) ist der offizielle "Commander of the Order of the British Empire" nun auch in Wien tätig.

In der Kärntner Straße entsteht der neue Flagship-Store von Peek & Cloppenburg. Während das Kaufhaus, das am 1. September eröffnet wird, innen ausgebaut, ausgestattet und allmählich mit Mode bestückt wird, traf RONDO dessen Architekten David Chipperfield zu einem Gespräch im - noch - leeren Haus.

Standard: Sie haben das neue Kaufhaus Peek & Cloppenburg in der Kärntner Straße geplant. Was ist das Wichtigste, wenn man einen Einkaufstempel entwirft?

David Chipperfield: Uns war es wichtig, ein Gebäude zu entwerfen, in dem man sich gerne aufhält. Schauen Sie sich nur einmal an, wo wir hier sind! Wir sitzen im zweiten Stock, schauen hinaus auf die Kärntner Straße und lassen es uns gutgehen. Wir könnten hier sogar ein Candlelight-Dinner haben! Ich glaube nicht, dass es viele Warenhäuser gibt, in denen so etwas möglich ist.

Standard: Die meisten Kaufhäuser sind dunkel und introvertiert. Studien zufolge geben Menschen mehr Geld aus, wenn man die Geschäfte von der Außenwelt abschottet und den Shopping-Vorgang nicht durch Blicke ins Freie unterbricht.

Chipperfield: Peek & Cloppenburg ist ein sehr kompetenter Bauherr, der nicht nur am Geschäft, sondern auch an hochwertiger Architektur interessiert ist. Und das ist kein Widerspruch. Das neue Kaufhaus in der Kärntner Straße ist zwar auch ein Warenhaus. Aber es ist in erster Linie ein Bauwerk, in dem man sich wohlfühlt.

Standard: Viele Leute kritisieren das Gebäude für seinen sehr großen und mächtigen Maßstab.

Chipperfield: Das Haus reagiert auf einen großen innerstädtischen Maßstab und ist dementsprechend groß. Es gibt die Möglichkeit, diesen Umstand zu kaschieren und dem Betrachter etwas vorzutäuschen. Und es gibt die Möglichkeit, diesen Umstand selbstbewusst nach außen zu tragen und damit ehrlich und angemessen umzugehen. Wir haben uns für Letzteres entschieden.

Standard: Inwiefern reagieren Sie mit dem Gebäude auf das historische Umfeld?

Chipperfield: Es gibt verschiedene Elemente, die eine Neuinterpretation der historischen Wiener Innenstadt sind. Zum einen wurde für die Fassade heller Donaukalk verwendet. Das ist ein typisches Baumaterial für Wien. Er ist nach alter Handwerkstradition massiv gemauert. In den oberen Geschoßen sind die Fenster zurückversetzt, wodurch die Fassade Tiefe bekommt. Es entsteht ein ähnliches Licht- und Schattenspiel wie bei den reich geschmückten Fassaden der umgebenden historischen Gebäude. Das alles sind, wenn Sie so wollen, moderne Zitate.

Standard: Wie wirkt sich die Architektur auf das Einkaufen aus?

Chipperfield: Der Neubau knüpft an eine Tradition an, die in den letzten Jahrzehnten verlorengegangen ist. Es gibt einen wichtigen Bezug zwischen Innenraum und Stadt. Diese Blickbeziehung ist mir sehr wichtig. Man sieht nicht nur von der Straße ins Geschäft hinein, sondern auch vom Geschäft hinunter auf die Straße.

Standard: In welcher Weise, denken Sie, hat sich das Einkaufen im Laufe des letzten Jahrhunderts verändert?

Chipperfield: Vor hundert Jahren wussten die Leute ganz genau, wo sie ihre Schuhe, ihre Hemden und ihre Hüte kaufen. Sowohl in den kleinen Läden als auch in den Kaufhäusern in den größeren Städten gab es gute, kundenorientierte Beratung und somit eine gewisse Garantie für Qualität.

Standard: Und heute?

Chipperfield: Die Geschäftsarchitektur wird immer kurzlebiger. Manche Läden werden alle paar Monate umgestellt, alle paar Jahre wird renoviert, und mit der Möblierung ändert sich meist auch das Personal. Hinzu kommt, dass eine gewisse zeitliche Struktur verlorengeht, die ich für sehr wichtig erachte. Früher hatten die Geschäfte am Samstagnachmittag und am Sonntag geschlossen. Heute sind sie jeden Tag geöffnet, und manche sogar rund um die Uhr. Muss das denn sein?

Standard: Was ist das Schlimme daran?

Chipperfield: Sie können alles immer und überall kaufen. Ich finde, dabei geht ein bestimmtes Ritual verloren. Ich bin zwar ein zukunftsgewandter Mensch, aber diese Konsumkultur von damals, die vermisse ich ein wenig.

Standard: Wie sieht die Shopping-Kultur im Jahr 2011 aus?

Chipperfield: Geschäftsreisende machen ihre Einkäufe auf dem Flughafen. Wenn ich Rasierschaum oder andere Kosmetika brauche, erledige ich das meistens in der Zeit zwischen Sicherheitskontrolle und Boarding. Aber das ist natürlich nur eine Randerscheinung. Ich denke, dass sich das Shopping in den letzten Jahrzehnten in zwei entgegengesetzte Richtungen entwickelt hat. Zum einen gibt es das zweckdienliche und emotionslose Einkaufen von Alltagsgegenständen, zum anderen gibt es eine Art Abenteuer-Shopping, also den gefühlsbetonten Erwerb von besonderen Gütern.

Standard: Sie sprechen von Mode?

Chipperfield: Ja, in erster Linie geht es dabei um Mode. Wir haben schon Geschäfte für Valentino, Issey Miyake und Dolce & Gabbana entworfen, und bei solchen Auftraggebern spürt man sehr stark, dass der ganze Prozess rund um das Verkaufen und Einkaufen auf eine gewisse Erlebniskomponente abzielt. Die heutigen Boutiquen erinnern an gemütliche Wohnzimmer, an exklusive Salons oder auch an zeitgenössische Galerien. Hier geht es nicht mehr um das reine Einkaufen, sondern um das Inszenieren von Welten und Emotionen.

Standard: Das heißt also, der Kunde wird manipuliert?

Chipperfield: Natürlich! So funktioniert der freie Markt. Das viele Rundherum ist ein wichtiger Bestandteil dessen, was die Leute heute unter Luxus verstehen.

Standard: Gehen Sie gerne einkaufen?

Chipperfield: Immer weniger. Ich bin sehr wählerisch und zielstrebig, wenn es ums Einkaufen geht. Was ich gar nicht mag, ist Shopping als Freizeitbeschäftigung. Ich kann mir nicht vorstellen, den Samstagnachmittag in einem Einkaufszentrum zu verbringen oder stundenlang zu bummeln und Auslagen anzuschauen. Wenn ich eine Hose brauche, dann gehe ich in ein Hosengeschäft und kaufe eine Hose. Das war's.

Standard: Gibt es gar nichts am Geldausgeben, das Ihnen Spaß macht?

Chipperfield: Doch! Ich gehe wahnsinnig gerne Lebensmittel einkaufen. In schönen Geschäften, wie man sie etwa in Japan sieht, in Feinkostläden und auf Märkten - da fühle ich mich wohl.

Standard: Was ist das Schöne daran?

Chipperfield: Das Bewusstsein für Qualität! In Japan gibt es Supermärkte, da zahlen Sie für einen Pfirsich sechs Pfund. Das ist wahnsinnig viel Geld für ein einziges Stück Obst. Aber dafür können Sie sich dessen sicher sein, dass dieser Pfirsich einfach perfekt ist und ebenso perfekt schmecken wird.

Standard: Würden Sie wirklich sechs Pfund für einen einzigen Pfirsich zahlen?

Chipperfield: Das habe ich schon. Und glauben Sie mir: Selten zuvor habe ich sechs Pfund so gut und glücklich investiert wie in diesen wunderbaren, japanischen Pfirsich. So schmeckt Leben!

Standard: Trotzdem: Stehen die sechs Pfund beim Pfirsich in Relation zu seinem tatsächlichen Wert?

Chipperfield: Denken Sie, dass es angemessen ist, 6000 Dollar für eine Handtasche von irgendeinem berühmten Designer zu zahlen? Wenn man ganz ehrlich ist, bekommt man als Kunde weder da noch dort den angemessenen Gegenwert. In beiden Fällen zahlt man nicht zuletzt für eine gewisse Kultur, für ein gewisses Marketing und Image mit. Das sind die Spielregeln. Wer das nicht will, der kauft sein Obst und seine Kleidung ohnehin woanders.

Standard: Manche Architekten entwerfen nicht nur Gebäude, sondern auch Mode, Schmuck und Schuhe. Haben Sie jemals daran gedacht, etwas in diese Richtung zu machen?

Chipperfield: Ich habe nicht unbedingt die Ambitionen, selbst Mode zu entwerfen. Aber sehr wohl habe ich das Bedürfnis, schlichte, aber schöne und qualitativ hochwertige Kleidungsstücke kaufen zu können. Sie wissen schon: Basics, einfache schwarze T-Shirts ohne viel Schnickschnack. So wie das T-Shirt, das Sie tragen. Apropos: Wo ist das her?

Standard: Das ist ein simples T-Shirt um zehn Euro.

Chipperfield: Solche Dinge meine ich! Ich würde ja am liebsten ein weißes Hemd entwerfen. Damit Sie mich nicht missverstehen: Ich will keinesfalls das Rad neu erfinden. Ich will einfach nur ein weißes Hemd entwerfen, so wie viele andere weiße Hemden, aber eines, an dem alles passt und sitzt. Schauen Sie sich nur mal das Hemd an, das ich heute trage. Der Stoff ist zu transparent, der Kragen passt nicht, die Ärmel sind zu lang, die Manschetten zu steif und die Knöpfe nicht schön. Eine Katastrophe! Dabei wäre es so einfach.  (DER STANDARD, Printausgabe, 22.7.2011)