Kairo/Paris/Tripolis - Die militärische Pattsituation in Libyen hat nun Spekulationen ausgelöst, wonach der Machthaber Muammar al-Gaddafi im Gegenzug für seinen Rücktritt Straffreiheit erhalten könnte. Verhandlungen von Gaddafi-Abgesandten mit einer US-Delegation am vergangenen Wochenende in Tunesien hätten genau dies zum Gegenstand gehabt, behauptete ein mit der Materie vertrauter, aber namentlich nicht genannter libyscher Beamter am Mittwoch der arabischen Tageszeitung "Al-Sharq Al-Awsat". Gegen Gaddafi hatte der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag im Juni einen Haftbefehl wegen Verdachts auf Kriegsverbrechen ausgestellt.

Demnach sind die 116 Mitgliedsstaaten des Haager Gerichts dazu verpflichtet - und alle anderen Staaten dazu aufgerufen -, den Diktator festzunehmen. Dem libyschen Beamten zufolge hätte aber Washington eine Freiheit vor Strafverfolgung zugesagt, wenn sich Gaddafi von der Macht in Libyen zurückzieht und das Land verlässt. "Die US-Delegation drückte ihre deutliche Bereitschaft aus, ein Land zu finden, das Gaddafi aufnimmt, zusammen mit Garantien, dass ihm nicht im Interesse einer Strafverfolgung nachgestellt wird", zitierte ihn "Al-Sharq Al-Awsat".

Nach Darstellung von amerikanischen Medien hätten jedoch die Gespräche mit den libyschen Abgesandten lediglich dazu gedient, um Gaddafi die "strikte Botschaft" zu übermitteln, dass er von der Macht abtreten müsse.

Frankreich zu Zugeständnissen bereit

Frankreich scheint aber die diesbezüglichen Forderungen und Bedingungen abzuschwächen. Es sei durchaus vorstellbar, dass Gaddafi in Libyen bleibe, sagte Außenminister Alain Juppe dem Sender LCI. "Unter einer Bedingung: Er muss sich von der libyschen Politik fernhalten." Dies sei Vorbedingung für einen Waffenstillstand und eine politische Lösung. Verteidigungsminister Gerard Longuet hatte kürzlich die Formulierung verwendet, Gaddafi könne sich weiter "in einem anderen Raum seines Palastes, mit einem anderen Titel" aufhalten.

Die Frage, ob Gaddafi auf diese Weise um einen Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof herumkäme, ließ Juppe unbeantwortet. "Darüber diskutieren wir heute nicht", sagte er. Das werde in den anschließenden Verhandlungen erörtert.

Für das heimische Publikum ließ sich Gaddafi wieder einmal mit Durchhalteparolen vernehmen. Er werde im Kampf gegen NATO und Rebellen nicht aufgeben, sagte er in einer Audio-Botschaft, die in der Nacht zum Mittwoch über die staatlichen libyschen Medien verbreitet wurde. "Zusammen mit Millionen Libyern werde ich bei der Verteidigung der Ehre, des Öls und des Wohlstands Libyens bis zum letzten Blutstropfen kämpfen", hämmerte er seinen Untertanen ein.

Außenminister dementiert Rückzugsgespräche

Bei einem Besuch in Moskau dementierte Gaddafis Außenminister Abdelati Obeidi Berichte, wonach die Regierung in Tripolis Gespräche über einen Rücktritt des Machthabers führe. Dies sei nicht Bestandteil von Verhandlungen, erklärte Obeidi der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Russland hat sich bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über den Libyen-Einsatz wie Deutschland der Stimme enthalten. Seitdem hat die Regierung in Moskau immer wieder den Militär-Einsatz der NATO kritisiert, die Allianz missbrauche die Libyen-Resolution des Weltsicherheitsrates. (APA)