Tunis - Die tunesische Übergangsregierung von Premierminister Beji Caid Essebsi sieht in den jüngsten gewaltsamen Protesten in einer Reihe von Städten einen gesteuerten Destabilisierungsversuch. Den Unruhestiftern gehe es darum, die auf Oktober verschobenen Wahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung zu torpedieren, sagte Essebsi in einer am Montagabend ausgestrahlten Fernsehansprache. Er deutete auch eine "ausländische Mitwirkung" an, ohne dies näher zu erläutern. Essebsi prangerte zudem den Raub von Waffen aus den Arsenalen der Armee an.

"Mit den Unruhen sollen die Wahlen verhindert werden, aber diese Wahlen werden wie festgesetzt am 23. Oktober stattfinden!", sagte der Premier. Es gebe Parteien und "marginale Kräfte", die gegen die Wahlen seien, "weil sie wissen, dass sie sie verlieren". Er sprach in diesem Zusammenhang von "einigen extremistischen religiösen Bewegungen", doch gebe es auch andere, "aber wir wollen keinen Extremismus, weder von rechts, noch von links".

Unruhen verurteilt

"Das tunesische Volk wird nicht zulassen, dass sich irgendjemand seiner Revolution bemächtigt", unterstrich Essebsi, der an alle Parteien appellierte, die jüngsten Unruhen unmissverständlich zu verurteilen. Zuletzt war es zu blutigen Ausschreitungen in der Stadt Sidi Bouzid gekommen, wo der "Arabische Frühling" nach der Selbstverbrennung eines jungen Mannes Ende vorigen Jahres seinen Ausgang genommen hatte. Die Verzweiflungstat in dem Ort rund 250 Kilometer südlich von Tunis rüttelte Hunderttausende Tunesier auf und führte wenige Wochen später zum Sturz von Diktator Zine El Abidine Ben Ali, der nach Saudi-Arabien flüchtete.

Polizeistationen angegriffen

In fünf Städten wurden Verwaltungsgebäude sowie Polizeistationen angegriffen und verwüstet. In dem Vorort Intilaka von Tunis versuchten am Wochenende 300 bis 400 teils bewaffnete Angreifer in das Polizeihauptquartier einzudringen, sie wurden aber mit Tränengas zurückgedrängt. Bei den Gewaltausbrüchen richtet sich der Verdacht auch auf Kräfte des Ben-Ali-Regimes. Der "Sabotage" verdächtigt werden Ex-Funktionäre der früheren Staatspartei RCD, die aufgelöst und verboten worden war.

Essebsi betonte in der Fernsehrede, dass seine Regierung ihre Mission nach den Wahlen als beendet ansehe. An die hundert politische Parteien haben sich bereits behördlich registrieren lassen. In sämtlichen Meinungsumfragen liegt die Islamisten-Partei Ennahda (Wiedererweckung) von Rached Ghannouchi derzeit in Führung. Ennahda hat sich aus der nationalen Reformkommission zurückgezogen, die den Übergang des nordafrikanischen Landes zu demokratischen Strukturen steuern soll. Zu einer Reihe von "technischen Pannen" ist es bei der Registrierung der Stimmbürger für die allgemeinen Wahlen gekommen. (APA)