Bad Aussee - Der Leichnam Hermann Brochs lag ausgestreckt auf dem Fußboden seines bescheidenen Heims in Connecticut, als ihn der Eismann am Morgen des 30. Mai 1951 fand. Ein Riss der Aorta hatte das Leben des Dichters und Wissenschafters im 65. Jahr beendet. Seine getrost als unglücklich zu bezeichnende Vita prägte Brochs Werk ebenso wie auch dessen Rezeption, die mit der Wiederentdeckung Brochs in den 1960er- Jahren den Ruf des Autors als ungelesene Größe der Moderne festigte. Eine angemessene Bewertung des 1886 in Wien geborenen Sohnes eines jüdischen Geschäftsmanns verlangt auch, das Werk im Kontext seiner Entstehungsgeschichte, der philosophischen Arbeit Brochs zu verstehen.
So eröffnet das vergangenen Freitag in Bad Aussee anlässlich des Dichters 125. Geburtstags und 60. Todestags gestartete "Antifestival" Streit um Broch in drei szenischen Lesungen samt Erläuterungen drei unterschiedliche Pfade - Wahrheit, Politik und Liebe -, um den Roman Der Tod des Vergil als Teil eines Lebenswerks erfahrbar zu machen. Begonnen hatte Broch mit der Erzählung vom Ableben des römischen Dichters Vergil im Jahr 1935. Acht Jahre zuvor hatte er, für den vorgesehen war, das Textilimperium seines Vaters weiterzuführen, das Familienunternehmen verkauft, um in Folge Mathematik, Philosophie und Physik zu studieren und als Schriftsteller zu arbeiten.
Mit seiner ambitionierten polyhistorischen Romantrilogie Die Schlafwandler gelang ihm ein künstlerischer Erfolg, die Wissenschaft war Broch jedoch stets näher als die Dichtung, welche ihm vielmehr ein Werkzeug in zweierlei Hinsicht war. Einerseits hätte sie für ein Einkommen sorgen sollen, andererseits der Erkenntnis - und zwar ihrem Gewinn wie auch ihrer Vermittlung - dienen.
Ende einer Kultur
Der Tod des Vergil hatte wie bereits Die Schlafwandler das Ende einer Kultur zum Thema. Mit dem "Anschluss" Österreichs bekam das Werk jedoch eine neue Dimension. Broch wohnte in Altaussee, als er am 13. März 1938 verhaftet und für drei Wochen in Untersuchungshaft kam. Die Festnahme hatte nicht nur seine von Thomas Mann und Albert Einstein unterstützte Flucht in die USA zur Folge. Auch die Arbeit am Tod des Vergil, die er während des Gefängnisaufenthalts fortführen konnte, wurde durch die Erfahrung der Ohnmacht, die am eigenen Leib erlebte Gefahr der dumpfen Masse und das damit verbundene Gefühl der Notwendigkeit sowie möglichen Vergeblichkeit von Literatur beeinflusst.
Als der Roman 1945 erschien, war dem ein mühsamer Entstehungsprozess vorausgegangen. Wie auch in den folgenden Jahren war Brochs Leben von Existenzsorgen, wachsenden Anforderungen an das Werk sowie Verpflichtungen wie den nie abgeschlossenen Arbeiten an seinem Bergroman, der umfangreichen Arbeit zur Massenpsychologie oder der Erarbeitung einer Völkerbund-Resolution geprägt. Trotz vieler prominenter Fürsprecher wie Hannah Arendt, Elias Canetti oder Aldous Huxley und einer Nominierung für den Nobelpreis 1950 konnte sich Broch nie freischreiben und verstarb unter der Last unerledigter Arbeit. Sein Vermächtnis ist ein beeindruckendes Werk, das allerdings auch an den eigenen Ansprüchen scheiterte.
Im Haus und unter der Leitung von Jürgen Kaizik wird nun nicht nur ein Einblick in das Vermächtnis Brochs geboten. Mit Zacharias, Briefträger bringt Kaizik unterstützt von Susanne Altschul und Ines Kratzmüller zudem ein "Volksstück" um die von W. G. Sebald als "ebenso lächerliche wie bösartige Bad Ausseer Farce" bezeichnete Verhaftung Brochs zu seiner Uraufführung. Dass dann angeblich auch gelacht werden kann, ist nur ein Bonus. Ein Ausflug zum Fuß des Tressenkogels lohnt auf jeden Fall, wenn man das Werk eines großen Dichters neu kennenlernen will. (Dorian Waller, DER STANDARD - Printausgabe, 18. Juli 2011)