Die derzeitige Krise des Euro bietet eine gute Möglichkeit zur Reflexion darauf, welches Europa wir in den vergangenen Jahren gebaut haben und welche weitere Integration notwendig ist. Aktuelle wirtschaftliche Schwierigkeiten zeigen, dass es wohl Zeit für eine gemeinsame EU-Finanzpolitik wäre. Diese müsste dann durch nationale Parlamente implementiert werden. Doch es mangelt innerhalb der EU an der Unterstützung der Bevölkerung und der benötigten Glaubwürdigkeit, um eine solche Aufgabe zu bewältigen.

Der entscheidende Punkt ist, dass die EU undemokratisch ist. Die wichtigsten Entscheidungsorgane - der Rat, der Gerichtshof und die Kommission - sind aus praktischen Gründen nicht gewählt, niemandem Rechenschaft schuldig und weit weg von den Bürgern Europas. Ihre Entscheidungen sind von nationalen Parlamenten nicht umkehrbar, auch nicht vom Europäischen Parlament, obwohl es mit einem Mitspracherecht ausgestattet ist.

Gesichtslose Opportunisten

Es gibt im Parlament keine offizielle Opposition; die Parteien können keine fundamentalen Kursänderungen in ihren Wahlprogrammen versprechen. In der Tat sind die Wahlausgänge der Europawahlen weitgehend irrelevant für die Politik in der EU. Die Parlamentarier sind gesichtslos und werden als Opportunisten verschmäht, deren Interessen vor allem auf Diäten, Sozialleistungen und Renten auf EU-Kosten abzielen. Die Kommissare haben kein höheres Ansehen; darüber hinaus sind sie meist Politiker, deren Karrieren in den Heimatstaaten gescheitert sind.

Doch das gravierendste Beispiel der fehlenden Demokratie in der EU ist die Praxis, kleine Staaten, die in einem Referendum mit Nein gestimmt haben, einfach nochmals wählen zu lassen. Oder noch schlimmer, die Formulierungen eines Vertrages, der bei einem Referendum in einem bedeutenden Staat nicht durchgekommen war, punktuell zu verändern und ihn anschließend durch die nationalen Parlamente durchzudrücken - auch in Ländern, in denen die Wählerschaft ihn bereits abgelehnt hatte - und anschließend ein demokratisches Mandat für sich zu beanspruchen.

Europas selbstgefällige politische Elite kann sich für solche Manöver selbst auf die Schulter klopfen. Ihr Motto ist gleich dem der Schweine in Orwells "Farm der Tiere": "Natürlich würden wir euch gerne eure eigenen Entscheidungen treffen lassen, aber nehmen wir mal an, ihr trefft die falschen Entscheidungen, wo würden wir dann stehen?" Die Politik bekommt die gewünschten Wahlergebnisse, die Wähler sind lediglich Schweine am Trog.

Revolution oder Chaos

Heute steckt die EU in der Klemme: demografisch befindet sie sich in einem absoluten Rückwärtsgang, wirtschaftlich und technologisch geht der relative Anschluss verloren. Der außenpolitische Einfluss der EU ist minimal - nur Afrikaner und Araber sind beeindruckt - während der US-Verteidigungsminister Robert Gates EU-Mitgliedern ganz offen mitgeteilt hat, dass sie nicht geeignet sind, NATO-Verbündete der USA zu sein. Die Errungenschaften der EU-Außenpolitik im Kosovo und Bosnien-Herzegowina gleichen verlassenen Ruinen. Baroness Ashton und ihre Kollegen sind ein Witz. Währenddessen bringen die Strapazen des Euro das ganze Projekt Europa in Verlegenheit.

Was kann getan werden? Die EU war in ihren besten Zeiten eine Art aufgeklärter Absolutismus. Aber das Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus machte historisch gesehen den Weg frei für die Revolution. Wenn in der EU keine demokratische Revolution stattfindet, wird die Zukunft ins Chaos münden. Am Ende steht dann der Zerfall des Staatenbundes. Die EU würde weniger den Vereinigten Staaten ähneln als vielmehr dem osmanischen Reich. (derStandard.at, 15.7.2011)