Ob man ein Kind in Wien Fahrrad fahren lässt oder nicht - eines fest steht: "Es ist gefährlich, Kinder ohne entsprechende Ausbildung auf die Straße zu schicken", sagt Robert Fuchs, Begründer des neuen Vereins Schulterblick.

Gegründet wurde Schulterblick mit dem Ziel, Kinder optimal auf das Radfahren in der Stadt vorzubereiten. Diese Vorbereitung soll künftig im Rahmen des Schulunterrichts stattfinden, um längerfristig - ähnlich wie bei den schulischen Schwimmkursen - möglichst viele Kinder zu erfassen.

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"Ich lasse mein Kind sicher nicht in Wien Radfahren, das ist viel zu gefährlich", hört Fuchs oft von Eltern. Seine Antwort: "Es geht gar nicht darum, ein Kind sofort nach der Fahrrad-Ausbildung in der Stadt fahren zu lassen, sondern darum, dass die Eltern unterstützt und motiviert werden, gemeinsam mit den Kindern zu fahren." Wenn die Kinder ein Bewusstsein fürs Radfahren als ökologisch nachhaltige Fortbewegung in der Stadt entwickeln und "sanften Druck" auf ihre Eltern ausüben, würden sie diese im besten Fall dazu bringen, auch einmal das Auto stehen zu lassen, ist Fuchs überzeugt, relativiert aber: "Die Macht der Gewohnheit zu durchbrechen, ist natürlich schwer."

Verein Schulterblick

"Kinder und Jugendliche sind in der Lage, auch in der Stadt sicher mit dem Rad unterwegs zu sein, vorausgesetzt sie werden entsprechend geschult", sagt Robert Fuchs, und weiter: "Eine solche Schulung wird in Wien bisher nicht ausreichend geboten, daher wollen wir mit unseren Kursen das Angebot an Radfahrkursen für Kinder erweitern und ergänzen.

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Ein hohes Maß an Eigeninitiative motivierte Fuchs zur Vereinsgründung : "Am Anfang stand meine Beobachtung, dass in Wien extrem wenige Kinder mit dem Fahrrad fahren, obwohl angeblich fast alle die Radfahrprüfung machen. Mein eigener Sohn ist vier Jahre lang in die Volksschule gegangen und das Thema Radfahren ist so gut wie gar nicht vorgekommen." Fuchs begann zu hinterfragen: Welchen Zweck erfüllt die Radfahrprüfung eigentlich? Wie müsste eine Ausbildung in diesem Bereich aussehen, damit Kinder tatsächlich auf das Radfahren in der Stadt vorbereitet und auch motiviert werden?

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Anhand seiner langjährigen Erfahrung als Fahrradbote und in der Kinderpädagogik erarbeitete er einen "Lehrplan". In praktischen Übungen vermittelt man den Kindern, worauf es beim Radfahren in der Stadt ankommt: Neben Verkehrsregeln und "klassischen" Normen wie Schulterblick oder Handzeichen, geht es vor allem um die Kommunikation und Kooperation mit anderen Verkehrsteilnehmern, um die zahlreichen Interaktionen im Straßenverkehr erfolgreich zu gestalten.

Neben der Praxis am Radweg finden in den Kursen des Vereins Schulterblick auch zwei Theorieteile statt: Zum einem geht es um die Kooperation mit den anderen Verkehrsteilnehmern, zum anderen um Umweltschutz. Damit will man das Bewusstsein der Kinder schärfen, dass das Fahrrad das ideale Fortbewegungsmittel in der Stadt ist. Fuchs: "Die Vorteile des Radfahrens sind zahlreich. Sowohl für jeden Menschen persönlich - in Bezug auf Wohlbefinden und Gesundheit - als auch für die Allgemeinheit - von Klimaschutz bis zur besseren Lebensqualität in der Stadt."

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Warum einen neuen Verein gründen, der Kindern das Fahrradfahren beibringt, wenn doch seit Generationen etwa die Workshops der gesetzlichen Unfallversicherung AUVA Volksschulkinder auf die Radfahrprüfung vorbereiten? "Weil unsere Kurse in der Verkehrswirklichkeit stattfinden und nicht im Verkehrsgarten", erklärt Robert Fuchs. "Das Fahren im Verkehrsgarten ist eine grobe Vereinfachung der Verkehrswirklichkeit und kann nur eine Vorstufe sein zum eigentlichen Üben sein. Als Vorbereitung auf die Radfahrprüfung reicht das nicht aus."

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"Natürlich vermitteln wir auch die Regeln, die den Schwerpunkt der AUVA-Kurse bilden, und trainieren Geschicklichkeit, Kurven fahren, Bremsen etc., aber wichtiger ist es uns, den Kindern zu vermitteln, wie eine defensive, vorausschauende Fahrweise umgesetzt wird." Dass Abwarten oft besser ist als Ausweichen, oder dass die Wahl der Geschwindigkeit ein entscheidender Faktor für eigene Sicherheit ist.

"Einen Schwerpunkt bildet das Hintereinanderfahren, weil das jene Situation ist, in der sich die Kinder am ehesten befinden, wenn sie in der Stadt mit dem Rad unterwegs sind." Es geht um Abstand halten, um die interne Kommunikation in der Gruppe oder um die Reaktion, wenn die Ampel plötzlich auf Rot springt. Das Thema Kommunikation ist für Fuchs ein zentrales: "Wir stellen sie in den Mittelpunkt, weil ein Großteil der Radunfälle auf Missverständnissen beruht. Die Bereitschaft zur Kommunikation der Verkehrsteilnehmer untereinander ist die Basis für Sicherheit und ein entspanntes Verkehrsklima."

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Zwei Vormittage lang dauern die Kurse für Schulklassen. In Vierergruppen mit jeweils zwei Begleitpersonen radeln die Kinder einen Abschnitt des Ringradweges entlang. Auch Kindergruppen abseits von Schulen sind willkommen, und Kinder, die noch nie auf einem Rad gesessen sind, können das Radfahren von Null weg lernen.

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Derzeit ist Fuchs mit seinen sechs MitstreiterInnen drauf und dran, den Verein im Bildungsbereich zu etablieren. Was keine einfache Sache ist. So findet man sich im Zentrum gegenläufiger Ansichten: "Seitens des Stadtschulrates gibt es keine Empfehlung für Eltern mit ihren Kindern in der Stadt Rad zu fahren", berichtet Fuchs, "das Unterrichtsministerium sieht das wieder anders." Die Radfahrausbildung über den Verein Schulterblick ist auf jeden Fall eine Chance, das Bewusstsein für ökologisch nachhaltige Mobilität bei Kindern zu fördern und nicht zuletzt dem grassierenden Bewegungsmangel entgegen zu wirken. Und Kinder sind nun einmal unsere Zukunft.

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Infos:

Die Radfahrprüfung erfolgt üblicherweise in der vierten Klasse Volksschule. Jede Schule kann aber autonom entscheiden, ob sie Kindern diese ermöglicht oder nicht, sowie über den Zeitpunkt und den Kursanbieter. Die Polizei führt die praktische und theoretische Prüfung durch, die den Kindern das Radfahren im öffentlichen Raum ermöglicht. Mit der bestandenen Radfahrprüfung darf ein Kind ab zehn Jahren, ohne Radfahrprüfung ab zwölf Jahren in der Stadt alleine mit dem Rad fahren. (Eva Tinsobin, derStandard.at, 17.07.2011)

www.wiener-radfahrschule.at

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