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Ein Flohmarkt außerhalb von Bengasi. Betreiber Mahmud verdient damit umgerechnet rund 60 Euro am Tag.

Foto: Sergey Ponomarev/AP/dapd

... die Übergangsführung will keine Almosen, sondern Kredite, die mit Ölkontrakten abgesichert sind.

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Jussuf hat keinen Dinar mehr in der Tasche. Das Eingeständnis, dass er die Gäste nicht zum Essen in ein Restaurant einladen kann, ist ihm peinlich. Libyer sind extrem gastfreundlich und sehr stolz. "Wir sind reich. Bei uns müsste es aussehen wie in Dubai. Aber Muammar hat dieses Land verrotten lassen", donnert er, als bei der Fahrt durch Bengasi wieder einmal bestialisch stinkende Abwässer die Luft verpesten. Youssuf hat keine bezahlte Arbeit mehr. Im Friseurladen ist nichts los, und die staatliche Firma, bei der er als Wächter arbeitet, zahlt seit Monaten keine Löhne mehr.

Seinem Bruder Mohammed geht es nicht besser. Er war vor der Revolution Einkäufer bei einer koreanischen Firma. Die ist jetzt geschlossen. "Wir zehren von unseren Reserven und helfen uns gegenseitig aus", sagt Mohammed. "Was die Familien früher in einem Monat ausgegeben haben, muss heute für drei Monate reichen", erklärt ein Geschäftsmann.

Am frühen Abend herrscht in den vielen Goldläden im Suk al-Jreed reger Betrieb. Die meisten Kunden sind Frauen. Fast alle wollen Gold verkaufen und erkundigen sich an mehreren Orten nach den besten Preisen. "63 Dinar das Gramm" - etwa 30 Euro - sagt Mohammed Abdel Fattah. Eben hat er eine prachtvolle alte Halskette im Wert von 1400 Dollar gekauft.

Schlangen vor Bankschaltern

Auch wer Geld hat, hat kein Vertrauen in die Banken und hortet die Scheine zu Hause. Wann immer Banken geöffnet sind, bilden sich lange Schlangen vor den Schaltern. Es herrscht akute Geldknappheit. Auch die Bank im Suk vor Abdel Fattahs Goldladen hat deshalb nur jeden Morgen eine Stunde geöffnet. Dass der private Handel noch läuft, zeigt sich etwa im Hafen, wo regelmäßig kleine Containerschiffe einlaufen, und auch an der Grenze in Sallum, wo die Schlange der Lastwagen aus Ägypten nicht abreißt.

Abklärungen im Auftrag der Regierung in Bengasi haben ergeben, dass Grundnahrungsmittel wie Mehl für drei Monate ausreichen. Müsste nach der Befreiung auch Tripolis mitversorgt werden, ist es genug für einen Monat.

So leer wie viele Haushaltskassen sind auch die Tresore der Regierung. "Wir haben kein Geld und leben von Tag zu Tag", muss Mazen Ramadan, der Berater von Finanzminister Ali al-Tarhuni, eingestehen. "Die Lage ändert sich ständig, auch weil die befreiten Gebiete größer werden." Wie akut die Situation ist, zeigt sich an den Stromausfällen, die nun jeden Tag mehrere Stunden andauern, weil Öl und Gas fehlen.

Von der international versprochenen Hilfe sind in Bengasi erst 100 Millionen Dollar aus Katar angekommen, die wurden hauptsächlich für Öl- und Benzinkäufe verwendet. Eben hat die Türkei einen Kredit von 200 Millionen Dollar zugesagt, der soll je zur Hälfte für Löhne und für den Import von Nahrungsmitteln und Medizin eingesetzt werden.

Die Regierung in Bengasi will keine Almosen, sondern Kredite, die mit Ölkontrakten abgesichert sind, weil die Freigabe von eingefrorenen libyschen Guthaben extrem kompliziert ist und lange dauert. Der Finanzbedarf beträgt mindestens drei Milliarden Dollar für sechs Monate. Wenn die Libyen-Kontaktgruppe am Freitag in Istanbul wieder zusammentritt, werden die Vertreter aus Bengasi ihren Appell erneuern. "Und sollte Gaddafi fallen, werden unsere finanziellen Probleme noch größer", warnt Ramadan. (Astrid Frefel aus Bengasi, STANDARD-Printausgabe, 15.7.2011)