Schränke, in denen man den Kopf zum Verschwinden bringen kann: Ai Weiweis "Moon Chests" in seiner Ausstellung im Kunsthaus Bregenz, zu der er nicht anreisen durfte.

 

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Das Projekt "Ordos 100" nach dem Aufbau in Bregenz

 

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Der Geruch ist betörend. Und nicht nur dieser.

Bregenz - "Ai Weiwei tut gern Dinge, die andere nicht wagen würden", schrieb die unter Patronanz der KP erscheinende chinesische Global Times am 6. April 2011 mit zynischem Unterton. In der Ausstellung Art/Architecture im Kunsthaus Bregenz (KUB), die ab  Samstag zu sehen sein wird, wagt Ai Weiwei es, den traditionellen chinesischen Hochzeitsschrank mit seinem typischen kreisrunden Metallbeschlägen neu zu interpretieren. Es ist die bisher größte Architekturausstellung des Pekinger Künstlers.

Die acht riesigen Moon Chests, die im dritten Obergeschoß in Reih und Glied stehen, sind zwar nicht zu öffnen, doch dafür kann man anstelle der runden Griffplatten den Kopf hineinstecken und um sich blicken. Nach 80 Tagen Arrest und angesichts der derzeitigen polizeilichen Überwachung Ai Weiweis in seiner Heimatstadt könnte die kopflose Metapher nicht dramatischer sein.

"Man kann die Mondschränke auf vielerlei Arten interpretieren", meint Phil Dunn, Mitarbeiter im Atelier Ai Weiweis, der in Vertretung seines Chefs zur Ausstellungseröffnung nach Bregenz angereist ist. "Doch die Inspiration dafür kam schon viel früher." Seit langer Zeit fotografiert Ai Weiwei regelmäßig den Mond. Die unterschiedlichen Phasen des Erdtrabanten sind nun in den Moon Chests festgehalten. Nachdem sich die kreisrunden Löcher nie an der gleichen Stelle befinden, entsteht beim Durchblicken der Eindruck unterschiedlich angeknabberter Lichtkreise. Die Verarbeitung der Schränke ist perfekt, es gibt weder Schrauben noch Nägel, alles riecht nach Holz.

Auch in den anderen beiden Ausstellungsgeschoßen des KUB dominieren riesige Holzmodelle in feinster Millimeterarbeit. Gezeigt werden Bauprojekte, die entweder schon realisiert sind oder sich noch im Planungsstadium befinden. Die Bandbreite reicht von Wohnhäusern über Ausstellungsgebäude bis hin zum Pekinger Olympiastadion, das aufgrund der von Ai Weiwei mitentwickelten Konstruktion unter dem Spitznamen "Vogelnest" bekannt ist.

Einige der präsentierten Projekte - so viel ist sicher - werden das Planungsstadium nie verlassen. Ein solcher Schubladenkandidat ist die Wohnsiedlung Ordos 100 in der Inneren Mongolei. Aufgrund der Kohlevorkommen erlebt die 1,6-Millionen-Einwohner-Stadt Ordos seit Jahren einen Boom. Ai Weiwei entwickelte einen Masterplan für einen exklusiven Wohnpark.

Die Grundidee: Gemeinsam mit den Basler Architekten Herzog & de Meuron lud er 100 junge Architekturbüros aus aller Welt für ein paar Tage zu einem Workshop nach Ordos und ließ exakt 100 unterschiedliche Villen entwerfen. Das Ergebnis ist ein Wohnpark voller zeitgenössischer Herzeigebeispiele. Während die Kommunistische Partei Chinas den "Außenseiter Ai Weiwei" für seine "rechtlich zweifelhaften Taten" und sein "Einzelgängertum" kritisiert, ist es ausgerechnet Ordos 100, dem auch die Fachwelt äußerst skeptisch gegenüber steht. Medien und Architekten bezeichnen das Stadtplanungsprojekt als "Stadt in der Stadt" sowie als eine weitere weltfremde Gated Community für Wohlhabende.

Die Kritik ist Geschichte. Der Auftraggeber Cai Jiang, ein Großindustrieller, zog sich aus dem Projekt zurück. Ordos 100 wird nicht gebaut. Es bleibt beim enormen, 15 Tonnen schweren 500-Quadratmeter-Modell aus Vollholz, das eigens für die Ausstellung angefertigt wurde. Der harzige Duft dringt bis ins Stiegenhaus.

Wichtiger Impuls

"Wie es aussieht, wird das Projekt nicht realisiert", sagt Ausstellungskurator Rudolf Sagmeister. "Trotzdem ist Ordos 100 ein wertvoller Beitrag. Es war ein wichtiger Impuls für eine neue Architekturdiskussion in China."

Schwierig gestaltete sich in den letzten Monaten auch die Kommunikation mit dem Künstler selbst. Wegen der Festnahme Ai Weiweis und der Beschlagnahmung der Computer aus seinem Pekinger Atelier stand die Ausstellung lange Zeit auf wackeligem Boden. "Dank Technik hat es am Ende doch noch geklappt", sagt der Kunsthaus-Direktor Yilmaz Dziewior. "Wir haben über Fotografie, Telefon und E-Mail miteinander kommuniziert und konnten Ai Weiwei so in all unsere Entscheidungen miteinbeziehen." Aber dennoch: "Einer fehlt. Wir können nicht so tun, als sei alles in Ordnung."  (Wojciech Czaja / DER STANDARD, Printausgabe, 15.7.2011)