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"Wien zwischen 1880 und 1914": ein neuer Einblick in den Symbolismus, wofür Max Klingers "Urteil des Paris" (Mitte) restauriert wurde.

Foto: Belvedere/APA

Wien - Vier Bände umfasst der von 1993 bis 2001 von der Österreichischen Galerie Belvedere publizierte Bestandskatalog zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Exakt 1116 Seiten, die nicht nur die Stärken einer Sammlung in den Vordergrund stellen, sondern recht schonungslos auch Schwächen enthüllen. Immerhin machte man damit aber öffentlich, was abseits von Sonderausstellungen im Museumsalltag nie zu sehen war, sondern ein unbeachtetes Dasein im Depot fristete. Letzteres ist nunmehr Geschichte, und das Kompendium gibt's im Museumsshop im Sonderangebot, für preiswerte fünf Euro insgesamt und so lange der Vorrat reicht.

Es hat einer Neukonzeption der Dauerausstellung bedurft, um der österreichischen Kunst des 20. Jahrhunderts im Belvedere nun jenen Raum zu geben, den sie in der Theorie und im Alltag des Kunstmarktes längst hatte. Im Ostflügel hat Kurator Harald Krejci zu ebener Erde nun seine Schützlinge der Klassischen Moderne und Zwischenkriegszeit verteilt. Sie umfassen 50 Prozent der insgesamt 120 aus den hauseigenen Lagern geborgenen und nun erstmals in der permanenten Präsentation gezeigten Meisterwerke.

Sieben Räume und thematische Klammern, die es exemplarisch für die Neuaufstellung als Besucher zu erobern gilt. Am Beispiel "Abstraktion" könnten Neunmalkluge hinterfragen, was es denn bitte mit Hundertwassers Der große Weg (1955) hier in Gesellschaft von Fernand Léger oder Erika Giovanna Klien auf sich hat. Über einzelne Elemente wie Farben, kompositorische Schwingungen oder den geistigen Hintergrund zueinanderfinden, ist die treffendste aller Antworten.

Durch die Porträtgalerie führt der neue Parcours in eine Sackgasse, in eine architektonische wohlgemerkt, die der "Kunst im Exil" vorbehalten ist. Raumfüllend Max Oppenheimers Orchesterbild Gustav Mahler dirigiert die Wiener Philharmoniker (1935-52), flankiert von Trude Waehners Café Provencal (1960) und Max Beckmanns Liegender Frau (1931). Weiter zu "Neue Sachlichkeit - Neue Wirklichkeiten", wo sich in die Blickachse zwischen Franz Sedlacek (Sturm, 1932) und Rudolf Wacker (Zwei Köpfe, 1923) nun Franz Hagenauer (Jünglingskopf, 1934) sein Quäntchen musealer Repräsentation erobert.

Stilvolles Dutzend

Es ist dies eines der zentralen Merkmale der Neugestaltung, mehr Skulpturen zu zeigen als bisher, und dies in durchaus inspirierender Atmosphäre: etwa in Form von Blickscharmützeln zwischen Edouard Kosmak (Schiele) und dem Marquis de Rochefort-Lucary (Rodin), oder dem nun stilvoll im Oktogon einquartierten Charakterkopfdutzend von Franz Xaver Messerschmidt.

Ein Schloss ist nun eben kein Museumsbau, erklärte Direktorin Agnes Husslein-Arco, weshalb man den Besuchern keinen klassischen Rundgang zu servieren gedachte, sondern "einen Parcours, der der Form einer Schleife folgt". Mehrere Tausend Objekte umfasst der Bestand der österreichischen Kunstgeschichte vom Mittelalter bis 1945 insgesamt. Davon ist nur ein Bruchteil permanent zu sehen, den man weder in einem Gänsemarsch durch die Epochen noch den Schubladenklischees entsprechend präsentieren wollte. Stattdessen setzte man auf Übergänge, Querverbindungen und vor allem auf den bisher vernachlässigten internationalen Kontext. "544 Meisterwerke neu entdecken", lautet der offizielle Leitsatz, und doch ist Gustav "Das Weib ist mein Hauptwerk" Klimts Kuss das wohl wichtigste aller.

Gemessen an der Wertschätzung der mehr als 800.000 Besucher jährlich, hat es als Ausnahmewerk auch etwas Neues verdient, konkret eine von den Architekten Kuehn Malvezzi gestaltete Paraventkonstruktion, die an ein monumentales Passepartout erinnert, in dem die Projektionsfläche inniger Liebe nun auf Augenhöhe bewundert werden kann. (Olga Kronsteiner/DER STANDARD, Printausgabe, 13. 7. 2011)