Fotografie von Zoe Leonard, die Mädchen beim Besuch eines Naturkundemuseums zeigen.

Foto: Zoe Leonard, Courtesy Galerie Capitain, Köln

Graz - So könnte man sich den skurrilen Bau eines sammelnden, verschrobenen Genies vorstellen: Eine Höhle, wo er - scheinbar beliebig - Versatzstücke aus Wissenschaften, Architektur und Alltag zusammengetragen hat. Akribisch hat er sie angeordnet, und wer sich Zeit nimmt, entdeckt, wie sie miteinander korrespondieren. Etwa das Modell einer Blüte mit jenem eines historischen Gebäudes. Dieser schrullige Unbekannte steht für die Menschheit, ihren Hunger nach Wissen und dessen Katalogisierung. Eine Katalogisierung, die aus dem Bedürfnis erworbenes Wissen zu sichern, über Jahrhunderte verschiedene Ordnungssysteme hervorgebracht hat.

In der von Katrin Bucher Trantow und Kunsthaus-Intendant Peter Pakesch kuratierten Schau Die Vermessung der Welt - Heterotopien und Wissensräume in der Kunst wurden auf zwei Ebenen in der blauen Blase Leihgaben und eigene Stücke des Joanneums zusammengestellt. Unter anderem auch aus den archäologischen und naturhistorischen Sammlungen des Hauses und der zeitgenössischen Kunst. Was nach einer reinen Leistungsschau zum 200-Jahr-Jubiläum des Universalmuseums klingt, in der man Vielseitigkeit bewerben will, ist mehr: einerseits die Geschichte der Ordnung, ohne Pedanterie, aber mit dem Ziel, die großen Zusammenhänge der Welt über die kleinen Details zu erkennen.

Steirische Apfelsorten

Vor allem aber erzählt die Ausstellung mit dem Instrument der Kunst von jenen Bereichen des Menschen, der Erde, des Universums, die nicht in Ordnungssystemen erfasst sind, obwohl man um ihre Existenz weiß. Der Titel der Arbeit von Clegg & Guttmann, eine Art partizipative Installation mit in einem Setzkasten katalogisierten steirischen Apfelsorten, einem Zettelkasten mit Uhr und Zeichnungen von Besuchern könnte für diese Diskrepanz, zwischen Erfasstem und Unsichtbarem stehen: What can be expressed and what is always left out of the description heißt sie.

Die Kunst schert sich nämlich - im besten Fall - nicht um Grenzen, außer wenn sie diese erkundet, und sie hat die Freiheit, sich auch mit den Zwischenräumen zu beschäftigen. So drehen sich auffallend viele Arbeiten genau um jene Flächen, die man tatsächlich vermessen kann, nämlich geografisch. Immer wieder taucht das Motiv der Landkarte auf: Dabei sieht man mitunter auch, was die Welt virtuell zusammenhält. Vik Muniz hat die Kontinente in der Arbeit www(world map) mit Festplatten, Rechnern, Computermäusen und Tastaturen nachgebaut. Ai Weiwei hat China 2003 in der Skulptur Map of China aus Holzstücken nachgebildet. Es ist ein hartes Holz, es stammt aus den Resten zerstörter Tempel.

Humorvoll ist Grayson Perrys Map of an Englishman, die man zuerst für eine historische Landkarte des Joanneums halten kann: Doch die Karte lehrt uns, dass die Träume eines Engländers im Südosten zu finden sind, während die Wünsche an der Westküste liegen und das Unbewusste und der Sex eher mittig zu finden sind.

Die Weltkarte ist auch das Motiv der Arbeit Pangaea's Diaries der Brasilianerin Rivane Neuenschwander, die das Titelblatt des Katalogs zur Ausstellung schmückt: ein weißer Teller, auf dem die Kontinente aus rotem Carpaccio liegen. Das Video dazu, das übrigens auf Youtube angesehen werden kann, zeigt die Theorie des Urkontinents und der Verschiebung der Kontinentalplatten mithilfe des italienischen Rinderfleischgerichts und Ameisen.

Unter den rund 40 Künstlern und Kunstkollektiven befinden sich auch Österreicher, wie Peter Kogler, der mit Gehirnskizzen vertreten ist, oder Constantin Luser, der sich im Animationsfilm Das rote Seil mit Stefan Arztmann auf die Suche nach dem roten Faden in der Kunst- und Geistesgeschichte machte. Ai Weiwei taucht in einer weiteren Arbeit auf, in einer, die nicht zufällig mit der Installation von Sharon Lockhart zusammengestellt ist: Lockharts Arbeit ist ein Tisch, auf dessen Oberfläche ein Film läuft, in dem man Anna Schwinger, einer Mitarbeiterin des Joanneums beim Sortieren von Artefakten zusehen kann. Auf dem gleich großen Tisch daneben liegen die Artefakte schön angeordnet.

Was man ohne Begleittext nicht wissen kann: Es sind beinah naturgetreue, nur etwas kleinere Nachbildungen der Artefakte aus der Steiermark, die Ai Weiwei in der traditionsreichen Porzellanmanufaktur in Jingdezhen anfertigen ließ. Ein schöner Bruch mit perfektionistischer Ordnung sind die sieben Fotografien der New Yorkerin Zoe Leonard, die kleine Mädchen beim fröhlichen Besuch eines Naturkundemuseums zeigen. Dabei sehen die präparierten Affen in den Glaskästen aus, als ob sie die stillen Beobachter der Menschenkinder wären. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD - Printausgabe, 12. Juli 2011)