Wolfgang Mayrhofer.

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Würden Sie weiter arbeiten, wenn Sie plötzlich via Erbschaft so viel Geld hätten, dass Sie für den Rest Ihres Lebens ökonomisch unabhängig wären? Diese Frage stellten wir im Rahmen eines Forschungsprojekts 339 Studierenden eines europäischen Elite-Masterprogramms (CEMS, www.cems. org) aus insgesamt 37 Ländern.

Jeder fünfte Befragte würde weiterhin, rund jeder Zehnte nicht mehr arbeiten. Satte 68 Prozent machten sich - hätten Sie's erraten? - selbstständig. Gefinkelterweise erkundeten wir das aber erst im Anschluss an eine Frage nach allgemeinen Karrierepräferenzen. Rund die Hälfte wollten in die klassische Welt der Organisationen, etwas mehr als ein Drittel als "freischwebende Professionals" ihre fachliche Expertise Organisationen zur Verfügung stellen, und in etwa jeder Zehnte würde chronisch-flexibel die eigenen Kompetenzen in sehr unterschiedlichen Projekten jeweils wechselnden Kunden anbieten. Magere fünf Prozent gaben Selbstständigkeit als Wunschvorstellung an. Bei Absolventen der WU in Wien gibt es übrigens für die Bereiche Organisationswelt und Selbstständigkeit fast idente Zahlen, lediglich die Präferenz für chronische Flexibilität ist höher.

Abgesehen von der für Organisation durchaus alarmierenden Tatsache, dass lediglich die Hälfte dieser Gruppe eine einschlägige Organisationskarriere als originären Berufswunsch äußert, scheint mir der Befund zur Selbstständigkeit bemerkenswert. Ein erster Zugang sieht Barrieren für mehr Selbstständigkeit im hohen mit dieser Form der Erwerbstätigkeit verbundenen finanziellen Risiko und fordert finanzielle Fördermaßnahmen. Eine zweite Interpretation hinterfragt die implizite Grundannahme einer recht traditionellen Vorstellung von Organisationswelt als "sicherem Hafen", die angesichts gegenwärtiger Turbulenzen und Freisetzungen vielleicht nicht ganz stimmig ist. Eine dritte Sichtweise weist auf höchst individuelle Risikopräferenzen und die Selbstselektion bei formalen Bildungsprogrammen hin. Richtige Entrepreneure, von einer Mission getrieben, fassen erst gar nicht eine Ausbildung in klassischen Sinn ins Auge. Sie gehen raus und tun es einfach - wer sich auf eine akademische Ausbildung ein- und verlässt, hat mit Mut ohnehin wenig am Hut und ist tendenziell risikoaverser.

Genug Stoff also für alle, die Selbstständigkeit in unserem Land fördern wollen. Allerdings immer noch komfortabel, falls die auf anekdotischer Evidenz beruhende Situation in Griechenland stimmt. Auf einer vor einiger Zeit in Athen stattfindenden Tagung zu Human Resource Management hörte ich eine Philippika eines prominenten lokalen Personalchefs. Dieser beklagte sich hoch emotional darüber, dass mehr als 80 Prozent der Absolventen renommierter wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge in seinem Land, nein, nicht ins Ausland, nein, nicht in multinationale Unternehmen, sondern in den öffentlichen Dienst wollen - wat dem eenen sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall ... (Kurt Tucholsky, Ein Pyrenäenbuch, 1927). (Wolfgang Mayrhofer/DER STANDARD; Printausgabe, 9./10.7.2011)