Schreibt über einen Sumpf aus üblen Machenschaften, die man heute unter dem Begriff Tangentopoli kennt: Giancarlo De Cataldo.

 

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In "Die Jahre aus Blei" lässt Roberto Cotroneo zwei fiktive Protagonisten der Alodo-Moro-Entführung in ihren Erinnerungen stöbern.

 

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Zwei jüngst in deutschen Übersetzungen erschienene spannende Romane befassen sich aktuell mit den bis in die Gegenwart reichenden Auswirkungen des italienischen Terrorismus, einem Thema, das bis heute viele Fragen offen und damit genug Raum für politische Interpretationen und verschwörerische Vermutungen lässt.

Man blickt zurück in die 1970er-Jahre, als zahllose Anschläge linker Terroristen Italien in Angst und Schrecken versetzten und die Politik, zwischen Ohnmacht und der höllischen Angst vor dem Kommunismus, den Atem anhielt. Heute weiß man, dass viele den damals linksextremen Organisationen wie den Brigate Rosse zugeschriebene Terrorakte in Wahrheit von Rechtsextremen ausgeführt und von Geheimdiensten inszeniert wurden, die mit dieser "Strategie der Spannung" gezielt die Kommunistische Partei schwächen wollten, doch nach wie vor sind hier mehrere Verfahren anhängig und viele Faktoren ungeklärt.

Wo also Justiz und Politik nur ungenügende Aufklärung bieten, setzt die Literatur an. Um eine nicht ausfüllbare Leerstelle, um eine kaum definierbare "Grauzone" zwischen Politik und Gesellschaft kreisen gleichermaßen die beiden Romane Die Jahre aus Blei von Roberto Cotroneo und Schmutzige Hände von Giancarlo de Cataldo.

Der Journalist Cotroneo, Jahrgang 1961, einer der interessantesten Protagonisten der italienischen Gegenwartsliteratur, war langjähriger Kulturchef der Wochenzeitung L'Espresso und veröffentlichte in den letzten Jahren eine Reihe beachtenswerter Essays und Romane (etwa Otranto, 1997). Die Jahre aus Blei ist sein erster politisch motivierter Roman. Cotroneo lässt darin zwei fiktive Protagonisten der realen Entführung und Ermordung Aldo Moros 1978 dreißig Jahre danach in ihren Erinnerungen stöbern, zum einen Giulia, die Tochter eines wichtigen Funktionärs der KPI, die, von ihrem Vater beschützt, in den Siebzigern zaghaft links engagiert war, zum anderen Cristiano, der sich als Sohn eines Faschisten gegen den Vater stellte, damals mittendrin war im Geschehen und seitdem als gesuchter Linksterrorist auf der Flucht in Argentinien untergetaucht ist.

Giulia hat reich geheiratet und eine große Wohnung in Rom gekauft, von der sie glaubt, dass hier Aldo Moro vor seiner Ermordung festgehalten worden war. Tatsächlich entdeckt sie dort ein dubioses Bekennerschreiben, das zu den wahren Protagonisten der "Affäre" führen soll.

Es ist kein Zufall, dass Cotroneo seine Figuren im Jahr 2006 auf Spurensuche in ihre politische Vergangenheit schickt: Damals wurde ein weiteres Ermittlungsverfahren im Fall Moro eingeleitet, bis heute wird über eine Beteiligung der Geheimdienste an der Entführung spekuliert.

Und auch bei Cotroneo sitzen die großen Bosse der Weltpolitik als allmächtige graue Herren in geheimen Logen und Organisationen. Cristiano, der gealterte Terrorist, trifft in Paris einen geheimnisvollen "Professor Italo", einen sphinxähnlichen Mittelsmann, der ihm nicht nur von der wichtigen Position seines faschistischen Vaters im italienischen Geheimdienst erzählt, sondern auch eine grausame Verhöhnung andeutet: Die Generation der Väter habe ihre Söhne in den 70ern die Revolution nur spielen lassen - und damit für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert. Cotroneo erzählt, keinesfalls frei von Pathos, dafür aber mit penibel recherchiertem theoretischem und begrifflichem Hintergrundwissen und umfassender Kenntnis der realen politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge, eine hochreflexive Geschichte über das unerbittliche Eigenleben der in den "Jahren aus Blei" geborenen Ideologien und ihre bis in die Gegenwart reichenden Folgewirkungen.

Naturgemäß wesentlich abgebrühter, da aus einem anderen Genre kommend, gibt sich im Vergleich dazu Giancarlo De Cataldo. Dessen Schmutzige Hände, ein temporeicher Politthriller, dem lediglich die eine oder andere Fußnote fehlt, um mit den raschen Erzählsprüngen des Autors mithalten zu können, ist bereits sein zweites Buch, das Karin Fleischanderl stilsicher für den Bozener Folio-Verlag übersetzt hat.

Aus dem Erstling Romanzo Criminale, einem furiosen kriminologischen Gesellschaftsepos, das Aufstieg und Fall der in den 70er- und 80er-Jahren den italienischen Drogenhandel dominierenden Banda Magliana dokumentierte, wurde im Vorjahr auch im deutschen Sprachraum ein Bestseller.

De Cataldo, ursprünglich Richter in Rom, schreibt vor allem Drehbücher für Kino und Fernsehen, und auch seine Romane folgen einer stark filmischen Dramaturgie. Und obwohl die Schmutzigen Hände den Fokus vom Drogengeschäft ab- und verstärkt der italienischen Tagespolitik zuwenden, lassen sie sich als Fortsetzung des Romanzo Criminale lesen - als Bindeglied könnte bei diesem Transfer die Mafia fungieren - und die Erkenntnis, dass Politik und Justiz mindestens genauso kriminell sind wie die (organisierten) Verbrecher, gegen die sie kämpfen sollten.

Auch die Charaktere sind zum Teil aus dem erfolgreichen ersten Roman übernommen: allen voran Kommissar Scialoja, der als standhafter Idealist gegen die Mafia ins Feld gezogen und durch den zermürbenden Kampf gegen die Windräder der Korruption zum unberechenbaren Zyniker geworden ist.

In Schmutzige Hände beginnen gerade die Neunzigerjahre: mit einer blutigen Machtdemonstration der Mafia, die sich gegen Richter und Staatsanwälte richtet, aber auch die Politik fest im Griff hält. Diese steckt ohnedies bis zum Hals in einem Sumpf aus üblen Machenschaften, die man heute unter dem Begriff Tangentopoli (oder, und darauf bezieht sich Fleischanderls deutscher Titel: "Mani pulite") kennt: Reißende Schmiergeldflüsse und illegale Parteienfinanzierung verursachten bekanntlich 1993 den totalen Kollaps der italienischen Parteienlandschaft.

Auch bei De Cataldo, der vielleicht eine Spur zu stark der Faszination der politischen Verschwörung erliegt, geht es um geheime Interaktionen und Verstrickungen, um unsichtbare, omnipotente Fädenzieher, die im kaputten Staat über Legislative und Exekutive stehen. Sein erzählerischer Kunstgriff ist die Manifestierung des Faktors der ominösen Unbekannten: Scialoja, der farblose Ermittler, bekommt die Verantwortung über ein gewaltiges Archiv übertragen, aus dessen unzähligen kommentierten Akten sich die große Wahrheit zusammenreimen ließe. Dabei würde man einen gewissen Silvio Berlusconi als den großen Profiteur der schmutzigen "affari" dieser Jahrzehnte entdecken. In Schmutzige Hände wird dieser - als eben erst das Politparkett betretender, Hoffnung verheißender TV-Unternehmer - nur in einem süffisanten Nebensatz erwähnt. Doch möglicherweise findet De Cataldo vor dem Gericht in Mailand bald neuen Stoff für Scialoja. (Isabella Pohl/ DER STANDARD, Printausgabe, 9./10.7.2011)