Jede Generation, die eine Protestbewegung getragen hat, wird dadurch fürs Leben geprägt. Sie hat in die Geschicke ihres Landes eingegriffen. Sie hat Geschichte geschrieben. Auch wenn ihre Bewegung nicht alle ihre Ziele erreicht hat, hat sie doch meistens zu einem zivilisatorischen Fortschritt beigetragen.

Derzeit geht in Spanien und in Griechenland die Jugend auf die Straße. Aber es ist mehrheitlich ein Protest der Verzweiflung, nicht der Hoffnung auf eine Veränderung der Gesellschaft zum Besseren. Die spannende Frage der nächsten Monate: Wird dieser Massenprotest in eine neue Politik münden, die ganz Europa beeinflussen kann? Oder nur in Ohnmacht und Resignation?

Echte Demokratie jetzt" verlangen die jungen Spanier, die sich selbst die "Indignados" , die Empörten, nennen. Sie kampieren seit Wochen an der Puerta del Sol in Madrid, sie haben Zeltlager organisiert, sie halten zusammen, sie praktizieren unter sich jene Solidarität, die sie gern auch in ihrem Staat sehen möchten. In Athen ist der Syntagma-Platz das Herz der Protestbewegung, wie vor kurzem der Tahrir-Platz in Kairo. "Wir hassen alle Parteien" lautet einer ihrer Slogans, gemeint sind die Linken wie die Rechten.

Die Demonstranten sind wütend über die Politiker, die mit ihrem Versagen das Land ins Elend gebracht haben. Der Zorn vereint sie. Aber bis jetzt haben die beobachtenden Journalisten noch keine Losungen entdeckt, die in die Zukunft führen und einen Ausweg aus der Krise weisen. Wie sollten sie auch, wenn selbst die klügsten Experten aller Lager ratlos scheinen?

Als die Generation der 1968er in Paris, Berlin und anderswo die herrschenden Eliten in die Schranken wies, war die Stimmung ebenfalls von Zorn und Empörung bestimmt. Die jungen Radikalen wollten, dass alles anders werde und nichts so bleibe, wie es war. Sie siegten nicht - aber viele ihrer Ideen fielen auf fruchtbaren Boden, und das Resultat waren die grundlegenden Reformen der Siebzigerjahre. Auch die Revolution von 1848 wurde niedergeschlagen und leitete letztendlich doch eine Epoche des Liberalismus in Europa ein. Der französischen Revolution von 1789 folgte die Restauration, aber die Deklaration der Menschenrechte wirkt nach bis heute.

Was wird bleiben von den Protesten einer heutigen Generation, die sich von Verantwortungslosigkeit und Profitgier verraten und betrogen fühlt? Sie verlangt das Ende von Verlogenheit und Korruption und von der Vorherrschaft der Geldinteressen über die Bedürfnisse der Menschen. Aber die Empörung hat noch keine bestimmte Richtung gefunden. "Echte Demokratie" kann viel bedeuten. Auch die Populisten von rechts machen sich in ganz Europa den Zorn der Leute, die sich um ihre Zukunft betrogen fühlen, zunutze.

1789, 1848, 1968 - Protestbewegungen, die die Gesellschaften in Richtung zu mehr Demokratie führten. Aber es gibt auch ein anderes Beispiel. Im Deutschland der 1930er-Jahre gingen die Empörten, verzweifelt über anhaltendes Massenelend und zunehmende Perspektivlosigkeit, den entgegengesetzten Weg. Er führte zum Ende der Demokratie. (Barbara Coudenhove-Kalergi/DER STANDARD, Printausgabe, 7.7.2011)