Moore wie das Tanner Moor in Oberösterreich speichern große Mengen des Treibhausgases Methan. Unklar ist, wie sich der Klimawandel auf dieses spezielle Ökosystem auswirken wird.

Foto: Thomas Bergmayr

Vor allem die darin lebenden seltenen Mikroben und deren Einfluss auf das Weltklima wollen die Forscher genauer untersuchen.

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Lange galten sie als Ödland, wertlos, es sei denn, man entwässerte sie oder grub sie zur Torfgewinnung ab. Erst heute, in Zeiten von Naturschutz und Klimawandel, fängt man an, Moore zu schätzen: als Horte der Artenvielfalt und natürliche Kohlenstofflager. Ihr Untergrund besteht aus gewaltigen Mengen Pflanzenresten, die sich dort seit Jahrtausenden angesammelt haben. Nur drei Prozent der Landmasse speichern so etwa ein Drittel des terrestrischen Kohlenstoffs, erklärt Michael Pester vom Department für Mikrobielle Ökologie der Universität Wien.

Der Biologe erforscht das Innenleben von Mooren, ihren Stoffwechsel sozusagen, ein Thema von globaler Bedeutung. Veränderte Umweltbedingungen könnten die Kohlenstoffspeicherung beeinträchtigen oder gar umkehren. "Keiner weiß so recht, wie die Moore auf die Klimaerwärmung reagieren werden", sagt Pester. Doch bereits jetzt setzen auftauende Moorflächen in der arktischen Tundra große Mengen Methan frei. Letzteres wirkt als Treibhausgas mehr denn 20-mal stärker als CO2. Experten schätzen, dass momentan zehn bis 20 Prozent der Methanemissionen aus Mooren stammen. Hierzu gibt es allerdings noch viele offene Fragen.

Enorme Vielfalt

Wer die Stoffumsätze der Moore verstehen will, muss in erster Linie ihre Mikroflora durchleuchten. Von außen sehen die moorbewohnenden Bakterien fast alle gleich aus, aber ihre Vielfalt ist enorm, betont Pester. "Pro Gramm Boden gibt es etwa 100.000 Arten." Sie leben in verschiedensten Mikronischen, in Anwesenheit von Sauerstoff oder unter anoxischen Bedingungen, und beziehen ihre Energie aus unterschiedlichen biogeochemischen Prozessen. Gewisse Mikroorganismen (Archaeen) setzen zum Beispiel organische Substanzen wie Acetat aber auch Wasserstoff zusammen mit Kohlensäure in Methan um.

Die Archaeen siedeln in sauerstofffreiem Milieu, wo sie jedoch nicht allein sind. Mikroben aus einer anderen Gruppe, die sogenannten Sulfatreduzierer, konkurrieren mit ihnen um die Ressourcen. Letztere benötigen für ihren Stoffwechsel allerdings auch Sulfat, eine Schwefelverbindung, und diese ist in den meisten Mooren Mangelware, besser gesagt: war.

Der durch Luftverschmutzung verursachte saure Regen hat Moorböden vielerorts mit Schwefelsäure angereichert. Dadurch sind auch die Sulfatkonzentrationen gestiegen. Die Sulfatreduzierer können sich unter solchen Bedingungen deutlich besser gegen die methanbildenden Archaeen durchsetzen und bremsen diese aus. Der Methanausstoß aus Mooren und anderen Feuchtgebieten dürfte so um circa acht Prozent gesenkt werden, meinen Fachleute (vgl. PNAS, Bd. 101, S. 12583). Dreck aus Schloten und Auspuffen kann also sogar einen positiven Nebeneffekt haben. "Das ist ein bisschen wie den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben", sagt Pester.

Der Trend dürfte sich weiter verstärken. In Europa mag das Luftverschmutzungsproblem mittlerweile weitgehend unter Kontrolle sein, aber weltweit gesehen, erlebt der saure Regen einen Aufschwung, vor allem durch die Industrialisierung Asiens. Mancher Wissenschafter glaubt, dass die Schwefelsäure aus der Luft die Methanproduktion der Moore bis 2030 um 15 Prozent senken wird.

Solche Prognosen täuschen gleichwohl darüber hinweg, dass die Fachwelt nur sehr wenig über die sulfatreduzierenden Gegenspieler der Methanproduzenten weiß. Pester hat sich deshalb zusammen mit anderen Wiener Experten zum Ziel gesetzt, die Geheimnisse dieser Moorbewohner zu lüften. Die Studien werden vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF gefördert.

"Rare Biosphäre"

Zurzeit steht bei diesen Untersuchungen eine erst 2009 entdeckte, aber noch nicht genau beschriebene Bakterienspezies der Gattung Desulfosporosinus im Mittelpunkt. Sie gehört zur "raren Biosphäre", einer rätselhaften Gruppe seltener Mikroorganismen. Desulfosporosinus wurde in Torfproben aus dem Niedermoor Schlöppnerbrunnen II im bayerischen Fichtelgebirge gefunden. Ihr Anteil an der gesamten Bakterien- und Archaeenpopulation im dortigen Boden beträgt nur 0,006 Prozent.

Die minimale Masse macht es allerdings nicht. Laut ersten Experimenten des Wiener Forschungsteams sind die mysteriösen Desulfosporosinus anscheinend für einen großen Teil der Sulfatreduktion in Schlöppnerbrunnen II verantwortlich (vgl. The ISME Journal, Bd. 4, S. 1598). Das passt nicht in die Lehrmeinung, betont Pester, der zufolge alle wesentlichen Stoffwechselprozesse im Boden von den Mikroorganismen mit hoher Zellzahl gesteuert werden. Die Mikroben aus der "raren Biosphäre" seien hingegen praktisch schlafende Minoritäten, die auf bessere Zeiten warten - weitgehend inaktiv, solange sich die ökologischen Bedingungen nicht grundlegend verändern. Sollte dies jedoch eintreten, müssten sich diese Spezies rasant vermehren - eigentlich.

Kontrollierte Bedingungen

Desulfosporosinus scheint somit Stoffe extrem schnell umsetzen zu können. Zudem profitieren er und andere Sulfatreduzierer vermutlich von einem mysteriösen Recyclingeffekt, einem noch weitgehend unbekannten, ebenfalls sehr schnellen Schwefelkreislauf, bei dem der aus reduziertem Sulfat entstandene Schwefelwasserstoff wieder zurückverwandelt wird. Auf Pester und seine Kollegen wartet also noch eine Menge Arbeit. Schlöppnerbrunnen II soll dabei auch weiterhin als Referenzfläche dienen, während man in Laborversuchen die biochemischen Prozesse unter kontrollierten Bedingungen studiert. (Kurt de Swaaf /DER STANDARD, Printausgabe, 06.07.2011)