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Brigitte Ederer

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Pensionierungen kosten Österreich in den kommenden Jahren eine ganze Generation an Spezialisten. Die Industrie bangt um tausende Fachkräfte. Osteuropa braucht seine Experten selber.

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Wien - Migranten der zweiten Generation würden in Österreich unzureichend integriert. Bei Jugendlichen sei die Drop-out-Quote aus dem Bildungssystem zu hoch, und Frauen dränge man aus dem Arbeitsmarkt, da ihnen nach jahrelanger Karenz Berufsqualifikationen fehlten. Brigitte Ederer sieht auf Unternehmen einen bedrohlichen Mangel an Facharbeitern zukommen. Um entgegenzusteuern, fehlten die entsprechenden Rahmenbedingungen in der Integrationspolitik und im Bildungswesen. "Österreich leistet sich eine Vergeudung menschlichen Kapitals."

Die frühere Europastaatssekretärin und Wiener SP-Finanzstadträtin für die SPÖ führt nunmehr das Europa-Geschäft von Siemens und ist Präsidentin des Verbands der Elektro- und Elektronikindustrie. Ein ganze Generation an Arbeitskräften und damit an Know-how gehe in den kommenden Jahren durch die Pensionen verloren, warnt sie im Zuge der Jahresbilanz der Branche. Allein Siemens brauche deswegen in Deutschland mittelfristig 10.000 neue Fachkräfte.

In Osteuropa werde man diese nicht ausreichend finden, zumal die Länder selbst wachsenden Bedarf an Spezialisten hätten. Wichtiger als über die Rekrutierung von Polen oder Rumänien zu diskutieren sei es, sich um das im eigenen Land brachliegende Potenziale zu kümmern. Rund 8000 Jugendliche fallen aus dem Bildungssystem, da sie nur Pflichtschulabschluss haben, so Verbandsgeschäftsführer Lothar Roitner: "Das ist eine Schande für eine der reichsten Nationen der Welt." Würde die Industrie entsprechend viele Leute hervorbringen, für die es keinen echten Bedarf gebe, ergänzt Ederer, gingen Betriebe in Konkurs.

"Keine Frage der Fünfer"

In der ganzen Debatte gehe es nicht um die Frage nach zwei oder drei Fünfern im Zeugnis. Es brauche ein neues Gesamtkonzept des Bildungssystems - und seine Entpolitisierung, fordert Roitner. Seine Branche unterstütze das Bildungsvolksbegeheren des Industriellen Hannes Androsch.

Die Technikskepsis der Österreicher mache es der Industrie generell nicht gerade leicht. Es brauche mehr Studierende der Naturwissenschaften, vor allem Frauen. Ihr Anteil unter den Absolventen sei nach wie vor erschreckend gering. Und um den Know-how-Vorsprung gegenüber aufstrebenden Ländern wie China und Indien zu halten, sagt Ederer, seien keine industrielle Reservearmeen gefragt, sondern top ausgebildete Leute.

Kritik, dass die Industrie für die Ausbildungsdefizite der Lehrlinge teils selbst verantwortlich ist, lässt Roitner nicht gelten: Lange Zeit habe man weit über den eigenen Bedarf hinaus ausgebildet.

Österreichs Elektronikindustrie hat zumindest konjunkturell das Schlimmste überstanden. Die Produktion stieg 2010 um mehr als 16 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten nahm um 3,3 Prozent zu. Das Wachstum wird von Exporten getragen. Ederer ist zuversichtlich, heuer das Niveau des Rekordjahres 2009 zu übertreffen. (vk, DER STANDARD, Printausgabe, 6.7.2011)