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In bzw. nach jeder Finanzkrise der letzten Jahrzehnte wird sie verstärkt diskutiert: Die so genannte "Finanztransaktionssteuer" hat eine lange Geschichte - großteils eine theoretische, zum Leidwesen zahlreicher Anhänger, zu denen sich nun auch die EU-Kommission zählt. Doch dazu später.

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Als eine der ersten Finanztransaktionssteuern wird von manchen Wirtschaftshistorikern die "Stamp Duty" an der London Stock Exchange gesehen - eingeführt anno 1694 (!). Ab diesem Zeitpunkt mussten Aktienkäufer in London amtliche Stempelmarken kaufen, mit denen das Dokument beglaubigt wurde. Es soll sich dabei um die älteste noch existierende Steuer Großbritanniens handeln.

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Mit der Finanztransaktionssteuer der Neuzeit ist allerdings der Name eines US-Amerikaners untrennbar verbunden: James Tobin (1918-2002), Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften des Jahres 1981 (Bild). Ihm zu "Ehren" wird die Finanztransaktionssteuer oft auch nur "Tobin Tax" genannt. Allerdings war die von ihm erdachte Steuer eine etwas andere als jene, die heute auch von vielen EU-Mitgliedsstaaten schon gefordert wird.

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Tobin schwebte eine internationale Steuer auf Devisentermingeschäfte vor. Er machte diesen Vorschlag erstmals 1972 in einer Vorlesung ("Janeway Lectures") in Princeton, publizierte ihn zwei Jahre später auch in dem Buch "The New Economics One Decade Older". Allerdings war der Idee da noch nicht viel Aufmerksamkeit beschieden, "sie fiel wie ein Stein in einen tiefen Brunnen", klagte Tobin 1977 auf der Konferenz "Eastern Economic Association" in Washington (Rede nachzulesen in dem Beitrag "A proposal for international monetary reform" / Volltext als pdf). Seine Klage war dann aber schnell obsolet: Dieser Auftritt gilt seither nämlich als Geburtsstunde der "Tobin-Tax".

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Allerdings hatte Tobin damit nicht - wie heutige Verfechter der Idee zumeist - die simple Generierung neuer Staatseinnahmen im Sinne. Ihm ging es nach dem Zusammenbruch des so genannten "Bretton-Woods-Systems" fixer Wechselkurse hauptsächlich darum, die Devisenmärkte zu stabilisieren. Den nationalen Zentralbanken sollte zinspolitischer Handlungsspielraum gegeben werden. Insbesondere stellte er in Frage, dass sich Wechselkurse auf unregulierten Devisenmärkten als Ergebnis rationaler Entscheidungen informierter Händler und entsprechend auf der Grundlage von Fundamentaldaten bilden. Die Wechselkurse würden sich vielmehr zum Großteil als Ergebnis der länderübergreifenden Spekulationen bilden, weshalb sie systematisch und dauerhaft von ihren fundamentalen Gleichgewichtswerten abweichen könnten. Dies führe wiederum zu ungleichen Wettbewerbschancen der einzelnen Staaten im Welthandel.

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Tobins Conclusio: Die "gefährliche und unproduktive" Spekulation müsse eingedämmt werden - im Sinne einer Stabilisierung der Weltfinanzmärkte. Dass seine Idee später von Globalisierungskritikern und anderen Gegnern des freien Welthandels - die NGO Attac führt die Forderung nach einer Transaktionssteuer sogar im Namen ("Association pour une Taxation des Transactions Financières pour l'Aide aux Citoyens, auf Deutsch: "Vereinigung für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zum Nutzen der Bürger") - propagiert und sogar gefeiert wurde, war ihm überhaupt nicht Recht. In einem Interview mit dem "Spiegel" im Jahr 2001 - ein Jahr vor seinem Tod - bekannte er, dass er den Applaus für seine Idee zum Großteil stets als "von der falschen Seite kommend" empfunden hätte. "Ich bin Ökonom und wie die meisten Ökonomen ein Anhänger des Freihandels. Ich befürworte außerdem den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank, die Welthandelsorganisation - all das, wogegen diese Bewegung anrennt. Die missbrauchen meinen Namen", so Tobin damals. Und außerdem: "Die Probleme der Globalisierung werden nicht dadurch gelöst, dass man sie aufhält. Alle Länder und ihre Einwohner profitieren vom freien Austausch von Gütern und Kapital."

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Tobin bemerkte in dem Interview im Übrigen auch, dass nicht er es war, der sich die später nach ihm benannte Steuer originär ausgedacht hatte. Schon der bedeutende britische Ökonom John Maynard Keynes hatte im Kapitel 12 seiner 1935/36 erschienenen "Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" (online hier zu lesen) eine Umsatzsteuer auf Aktiengeschäfte vorgeschlagen. "Die Einführung einer nicht unerheblichen Verkehrssteuer auf alle Transaktionen könnte sich als die brauchbarste Reform im Hinblick auf die Abschwächung der Vorherrschaft der Spekulation über Unternehmen in den Vereinigten Staaten, die zur Verfügung steht, erweisen", begründete er seine Idee.

Investoren sollten damit dauerhafter an ihre Aktien gebunden werden. "Diese Idee übertrug ich 1971 auf Devisenmärkte", erklärte James Tobin. ie "Bretton Woods"-Ära war vorbei, gleichzeitig wurden Geldtransaktionen immer häufiger bereits elektronisch durchgeführt; Tobin sah mit diesem technologischen Sprung eine enorme Steigerung bei der Anzahl an Transaktionen einhergehen. "Ich wollte diesen Prozess verlangsamen, damit weniger spekuliert wird und die Umtauschkurse nicht so schwanken. Heute, wo jeder Mensch zu jeder Zeit per Heim-PC an der Börse handeln kann, ist dieses Problem um ein Vielfaches größer geworden."

Die Idee sei ganz simpel, so Tobin weiter: "Bei jedem Umtausch von einer Währung in die andere würde eine kleine Steuer fällig, sagen wir von einem halben Prozent des Umsatzes. So schreckt man Spekulanten ab. Denn viele Investoren legen ihr Geld sehr kurzfristig in Währungen an."

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Heute hat sich die Idee - wohlgemerkt: in der volkswirtschaftlichen Theorie - längst verselbstständigt. Die heute zur Diskussion stehenden Steuersätze liegen zwischen 0,001 und 0,5 Prozent. Vom deutschen Wirtschaftswissenschaftler Paul Bernd Spahn wurde das Konzept außerdem mittlerweile weiterentwickelt, er fordert eine Zwei-Stufen-Steuer, die auch gegen spekulative Attacken wirkt: Solange sich der Wechselkurs innerhalb eines bestimmten Korridors bewegt, fällt nur die normale Tobin-Steuer an. Kommt es jedoch etwa wegen vermehrter Spekulationen zu starken Schwankungen, wird eine Zusatzsteuer von bis zu 100 Prozent eingehoben, die die Transaktionen unrentabel machen und somit unterbinden soll. "Diese Zusatzsteuer wäre ein Instrument, um sich gegen massive Währungsspekulationen zu wehren und wäre vor allem für verletzliche Entwicklungs- und Schwellenländer ein wirkungsvolles, sich selbst einschaltendes und im Alleingang realisierbares Instrument", erklärt Attac auf der Website. (Mehr dazu auch hier.)

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Im Fokus vieler weiterer Überlegungen steht heute aber auch vermehrt das fiskalische Potenzial einer Finanztransaktionssteuer, weniger die Lenkungsfunktion auf den Finanzmärkten bzw. das ursprüngliche Tobin-Motiv einer "Korrektur von Marktversagen". Die EU-Kommission hat etwa erst kürzlich im Finanzrahmen für 2014 bis 2020 die Einführung einer Finanztransaktionssteuer bis spätestens 2018 vorgeschlagen, um die EU zu finanzieren. Dennoch soll damit auch die Entstehung künftiger Finanzkrisen zumindest erschwert, ihr Verlauf abgemildert werden. In Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Finanzkrise wird außerdem immer wieder gefordert, Finanztransaktionen aus Gründen der Steuergerechtigkeit zu besteuern. Dieses Motiv hat wiederum sehr viel mit den Zielen der globalisierungskritischen Organisation Attac zu tun, die das Geld auch für Armutsbekämpfung und Entwicklungszusammenarbeit verwendet sehen will. Auch das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) fordert deshalb die "Tobin-Tax".

Behält James Tobin allerdings Recht, sind all diese Überlegungen und Forderungen Makulatur. Auf die Frage, ob er denke, dass die "Tobin-Tax" tatsächlich jemals kommen werde, antwortete Tobin nämlich 2001 im "Spiegel"-Interview: "Keine Chance, fürchte ich. Die entscheidenden Leute in der internationalen Finanzszene sind dagegen." (Martin Putschögl, derStandard.at, 6.7.2011)

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