Der Künstler János Horváth malt seine "Köpfe des Feuers" auf eine Hauswand in Bódvalenke, unter der Beobachtung eines Roma-Jungen aus dem Dorf.

Foto: Akos Stiller / hvg.hu

Budapest/Prag - "Münchhausen" nennt Eszter Pásztor ihr Projekt, nicht offiziell, nur so für sich, weil sie so gut passt, diese Geschichte, in der sich Baron Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht und sein Pferd gleich mit dazu.

Doch im Gegensatz zu der Märchenfigur ist das, was Pásztor erzählt, keine Lüge, im Gegenteil: Die zierliche Frau kämpft an gegen die falschen Behauptungen, gegen die Vorurteile, die es gegen Roma in ganz Europa noch gibt, besonders auch in ihrem Heimatland Ungarn.

Keine Kampagne, keinen lauten Protest setzt sie dagegen, sondern großflächige Kunstwerke in grellbunten Farben, die über das Leben und die Werte der Roma erzählen, ihre Träume, ihre Geschichten und Sehnsüchte. Sie schmücken die Hauswände des Dorfes Bódvalenke in Nordungarn nahe der Grenze zur Slowakei, wo sich noch vor zwei Jahren kaum ein Fremder hinverirrt hätte und die 200 Bewohner alleingelassen waren mit Armut, Krankheiten und vor allem der Arbeitslosigkeit.

Win-win-Situation

Mit Vorurteilen aufräumen und Touristen ins Dorf bringen - so umreißt Pasztor die Ziele des Projekts. "Die meisten Menschen hatten nie sozialen Kontakt zu Roma, und sie wissen sehr wenig über sie." Wer das Dorf besucht, spricht unweigerlich mit den Menschen. "Das ist für beide Seiten wichtig, weil die Dorfbewohner keine Möglichkeit haben zu reisen. Jetzt kommt die Welt zu ihnen."

Eine Win-win-Situation - und für die Dorfbewohner noch dazu eine Chance, sich mit dem Tourismus ein kleines Einkommen zu erarbeiten. Denn: "Dort gibt es weit und breit keine Möglichkeiten zu arbeiten." Seitdem die Regierung die Bedingungen für die soziale Unterstützung geändert hat, ist es noch schwieriger geworden, etwas dazuzuverdienen.

Die Bilder, die nun an den Hauswänden prangen und den Ort in ein kleines Museum verwandelt haben, stammen nicht von den Dorfbewohnern selbst, sondern von bekannten Roma-Künstlern, die mittlerweile auch aus dem Ausland gekommen sind, alles koodiniert vom Miskolcer Maler János Horváth. Der berühmteste Künstler bisher war Zoran Tairoviæ aus Serbien, der als Star der europäischen Roma-Kunstszene gilt und erst im Juni nach Bódvalenke kam, um sich mit einem Bild an dem Projekt zu beteiligen.

Gegen die Rechtsextremen

Das Freskendorf ist in Europa einzigartig und deshalb im Juni in Prag auch von der Stiftung der Erste Bank mit einem Preis für soziale Integration ausgezeichnet worden (siehe Artikel unten). Als Pásztor im Herbst 2006 im Fernsehen die rechtsextreme Ungarische Garde marschieren sah und aus einer großen inneren Empörung heraus anfing, über ein soziales Engagement nachzudenken, fiel ihr ein Kunstdorf ein, das sie 15 Jahre zuvor in Ägypten besucht hatte - so entstand die Idee.

Bei der Umsetzung ist sie freilich immer noch mit Problemen konfrontiert, teilweise sehr praktischer Art. So gibt es in dem ganzen Ort nur eine Toilette, die überhaupt von Touristen benutzt werden kann. "Wir hatten schon einmal einen Bus voll holländischer Pensionisten, die dann anderthalb Stunden vor der Toilette anstehen mussten."

Touristen werden auch bekocht

Auf Vorbestellung kann man bei Roma-Familien essen. Die Touristen werden bekocht und sitzen mit den Familien an einem Tisch - für Pásztor eines der besten Rezepte, um Vorurteile abzubauen. Aber Übernachtungmöglichkeiten gibt es nicht, deshalb plant Pásztor nicht nur, das Dorf mit der nötigsten Infrastruktur wie Abwasserleitungen zu versorgen, sondern auch ein Gasthaus und einen Campingplatz.

Doch noch fehlt das Geld, um die Pläne umzusetzen. Und weil mit den jüngsten Sparmaßnahmen der ungarischen Regierung und der Einführung der Flat Tax alles noch schwieriger geworden sei, kämpfe der Ort jetzt wieder mit existenzieller Not: "Die Dorfbewohner leben von Sozialleistungen und Saisonarbeiten", sagt Pásztor. "Die Einkommen sind von über 50 auf durchschnittlich weniger als 40 Euro im Monat gesunken - das bedeutet: Die Menschen drohen zu verhungern."

Auch die Gesundheit bleibt ein Problem. Die Lebenserwartung liege weit unter dem Durchschnitt. Krankenhäuser - und Schulen - sind kaum erreichbar, weil die öffentlichen Verkehrsmittel teuer und schlecht organisiert sind. Pásztor: "Eine Abwärtsspirale - und die Verlierer sind wir alle." (Julia Raabe, DER STANDARD-Printausgabe, 5.7.2011)