Während der heilige Franziskus (rechts am Boden) schön langsam in ein anderes Leben hinübergleitet, werden im Auftrag von Hermann Nitsch fleißig Farben aufgetragen.

Foto: Bayerische Staatsoper / Wilfried Hösl

Es gehört wohl selbst für einen Abgebrühten, der schon dreimal seiner Kunstideen wegen im Knast saß, nicht zum Angenehmsten, diesen operntypischen Klang der Ablehnungen empfangen zu müssen. Letztendlich aber konnte man durch den stolzen Rauschebart von Hermann Nitsch hindurch doch so etwas wie ein ironisches Lächeln entdecken - als er nach fünf Stunden dieser in die musikalische Moderne überführten Huldigung an einen katholischen Heiligen auf die Bühne kam.

So schlimm war's ja dann auch wieder nicht: In den Pausen hatte er einige Autogramme geben müssen, und in Summe konnte die jüngere Operngeschichte viel zornigere Abrechnungen mit Regisseuren erleben. Wobei: Was die buhenden Münchner Gemüter da erregt hatte, ist schwer zu sagen. Sanfter kann man Olivier Messiaens Saint François d'Assise ja inszenatorisch kaum anfassen; oratorialer, also statischer, vermag der Bühnenstil der Sänger nicht angelegt zu sein.

Ob nur die frommen Brüder (sie sangen alle passabel), die sich um den Prediger scharen, ob der wie eine Terrakotta-Armee wirkende Chor (zum Schluss hin etwas unsauber) oder Franziskus selbst - sie sind Figuren in einem minimalistischen Szenenspiel gewesen.

Allein, die personelle Theaterebene ist nur ein Element der Gesamtkonzeption, die aus simultan ablaufenden Vorgängen ihre theatrale Dynamik beziehen will. Der schillernden, einmal monolithisch sich dahinwälzenden, dann wieder in insistierenden Linien rasenden Musik und ihrer imposanten Klanglichkeit stellt Nitsch optische Reize zur Seite. Da glänzt auf einer fast die ganze Bühne umfassenden halbkreisförmigen Leinwand ein wellenartig ablaufendes Ballett der Farben (Frank Gassner), das mit den regenbogenbunten Kostümen korrespondiert. Da bringt Nitsch auch Filmdokumente seiner Prinzendorfer Aktionen, wobei selbige übermalt und verfremdet werden.

Und: Als weitere Ebene implantiert er seine Aktionisten ins Spiel, die nackten, auf Kreuzen Fixierten rote Säfte einflößen, sie abwaschen, dann auch mit Obst und Gemüse einreiben. Entlang der Glück- und Leidensgeschichte des Heiligen (gut, aber ohne besonderen vokalen Glanz: Paul Grey) hat man also die Möglichkeit, Elemente aus Nitschs Orgien-Mysterien-Theater kennenzulernen - samt Schüttbild, das zum Ende hin auf einer riesigen Leinwand produziert wird.

Das alles hat charmante Momente. Allerdings ist diesem Werk mit seinen beachtlichen Ausmaßen und der ihm innewohnenden Ereignisarmut durch eine irgendwann redundant wirkende szenisch-optische Anlage nicht ganz beizukommen. Durch die Wiederkehr ritueller Abläufe und Bilder stellt sich eher ein gewisser Leerlauf ein; und wenn an markanten Momenten doch etwas Abwechslung Einzug hält, kann es leider kitschig werden. Zur Heilung des Kranken erblühen etwa unzählige Videorosen. Und zur Vogelpredigt zeigt die Leinwand wuchernde Vogelschwärme, die Brehms Tierleben entnommen sein könnten.

Und wenn dem Heiligen schließlich Christus' fünf Wunden zugefügt werden, führen einfach fünf Neonröhren von einem nackten Nitsch-Aktionisten zu Franziskus herab, während das finale Licht durch herabschwebende Scheinwerfer simuliert wird. Das wirkte doch reichlich routiniert und szenisch verlegen.

Tolles Orchester

An der Figur des Engels (grandios: Christine Schäfer) konnte man erahnen, dass intensivere Arbeit an der Figuren mehr szenisches Leben erbracht hätte. Dieser Engel wirkt bei Nitsch markant, bewusst gestaltet und präzise eingesetzt. Wenn auch er am Ende jedoch ob der vollgeräumten Bühne gar nicht mehr wirklich durchkommt, um sich entscheidend in Szene zu setzen, wird er regelrecht ein Symbol dafür, dass der ganze Aufwand hier sogar zum Hindernis für mögliche theatrale Intensität werden konnte.

Immerhin das Orchester unter Kent Nagano: Das war klanglich voller Magie, exakt in der Ausführung, voller Dynamik und nicht ohne Poesie. Dementsprechend wurde der Musikchef der Oper, der 2013 von Kirill Petrenko abgelöst wird, demonstrativ und zu Recht gefeiert. (Ljubisa Tosic aus München/DER STANDARD, Printausgabe, 4. 7. 2011)